Interview mit Walter Kirch
Mit dem Sheriff auf Streife

Walter Kirch wurde 1956 in Aachen geboren. Mit 17 Jahren ging er zur Polizei. Nach seiner Ausbildung im Rheinland kam er 1975 als Polizeihauptwachtmeister nach Frechen. Seit 23 Jahren ist er Bezirksdienstbeamter für den Bereich Innenstadt. Für die meisten Frechener ist er daher „der Dorfsheriff“. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn auf Grube Carl. | Foto: Lars Kindermann
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  • Walter Kirch wurde 1956 in Aachen geboren. Mit 17 Jahren ging er zur Polizei. Nach seiner Ausbildung im Rheinland kam er 1975 als Polizeihauptwachtmeister nach Frechen. Seit 23 Jahren ist er Bezirksdienstbeamter für den Bereich Innenstadt. Für die meisten Frechener ist er daher „der Dorfsheriff“. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn auf Grube Carl.
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Wohl jeder in Frechen kennt ihn: Viele sind schon von ihm erwischt
worden, weil sie mit dem Fahrrad durch die Fußgängerzone gefahren
sind, jungen Eltern hat er die richtige Nutzung von Kindersitzen
erklärt, den Frechener Bürgern steht er bereits seit 1975 mit Rat
und Tat zur Seite, und Kinder dürfen sich über Leuchtsticker,
Aufkleber oder Anstecker freuen, wenn sie ihn treffen.
Polizeihauptkommissar Walter Kirch ist seit 23 Jahren
Bezirksdienstbeamter in der Frechener Innenstadt. Ende August wird
„der Dorfsheriff“ nach 47 Jahren im Polizeidienst in den Ruhestand
verabschiedet. Wir haben ihn für einige Stunden im Dienst begleitet
und mit ihm über seine Zeit im Polizeidienst gesprochen.

SonntagsPost:Wann hast Du bei der Polizei angefangen?

Walter Kirch: Sehr früh: Beim ersten Versuch war ich noch zu
leicht. Ich war zwei Kilogramm untergewichtig. Da musste ich nochmal
nachlegen. Mit 17 ging es dann los.

Und nach der Ausbildung ging es dann schon nach Frechen?

Kirch: Ja, 1975 habe ich hier angefangen. Zuerst im Wachdienst,
später war ich eine kurze Zeit bei der Kriminalpolizei in einer
Sonderdienststelle für Fahrraddiebstähle, und dann habe ich mich
für den Bezirksdienst beworben.

Warum?

Kirch: Im Bezirksdienst bist du der Ansprechpartner vor Ort.
Der Streifenwagen fährt nur an dir vorbei, aber den Bezirksbeamten,
den kannst du direkt ansprechen. Das ist der ganze Sinn und Zweck der
Sache. Die Hauptaufgabe der Bezirksdienstbeamten besteht darin, den
ständigen Kontakt zwischen Bürgern und der Polizei zu wahren und zu
pflegen. Wir sind oftmals der erste Ansprechpartner. Wir sind die
Schnittstelle, die Schwellenängste abbauen soll.

Wie groß ist Dein Bezirk?

Kirch: Er reicht von St. Audomar bis St. Maria Königin bis
Grube Carl.

Wie sieht Dein üblicher Tagesablauf so aus?

Kirch: Ich starte mit der Schulwegüberwachung um 7.30 Uhr, an
Markttagen geht es danach in die Innenstadt, ansonsten heißt das
Tagesgeschäft: „Haftbefehle vollstrecken, Aufenthaltsermittlungen
für die Staatsanwaltschaft und den Bezirk in Ordnung halten“.

Viele Fahrradfahrer „fürchten“ Dich. Wie viele hast Du in der
Fußgängerzone schon vom Rad geholt?

Kirch: Das waren schon einige.

Wie findest Du es, dass jetzt das Fahrradfahren in der
Fußgängerzone temporär gestattet ist?

Kirch: Das ist ein guter Anfang. Seit der Fertigstellung der
Fußgängerzone im Jahr 1980 fordert die Polizei, dass sie für den
Fahrradverkehr frei gegeben wird. Aber die Stadt hat das bisher
abgelehnt. Es war also verboten, und ich musste das ahnden. Wobei ich
nicht ganz so streng war, wie einige behaupten. Die wenigsten haben
ein Knöllchen bekommen, in den meisten Fällen kommen die Leute bei
mir mit einer Standpauke davon. Darauf würde der ein oder andere aber
sicherlich gerne verzichten und lieber zahlen.

Musstest Du jemals von der Schusswaffe Gebrauch machen?

Kirch: Gott sei Dank nicht gegen Menschen. Dafür bin ich sehr
dankbar. Ich habe sie zwar mehrfach zur Eigensicherung ziehen müssen,
aber geschossen habe ich nur auf einen tollwütigen Hund und eine
tollwütige Kuh.

Eine Kuh?

Kirch: Ja, da hättest Du mich mal rennen sehen können. Die
ist im Wald hinter mir her.

Wie hat sich die Polizei in Deiner Dienstzeit verändert?

Kirch: Wir sind viel professioneller geworden. Auch unsere
Ausrüstung wurde immer wieder den Anforderungen angepasst. Besonders
froh bin ich über die Notfallseelsorger. Sie helfen den Menschen vor
Ort, sprechen mit den Angehörigen und überbringen im schlimmsten
Fall auch Todesnachrichten. Als junger Beamter musste ich einer
Familie sagen, dass ihr sechs oder sieben Jahre altes Kind bei einem
Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Das trage ich seitdem mit mir,
so etwas vergisst du nicht.

Welcher Einsatz ist Dir besonders in Erinnerung geblieben?

Kirch: Ich kann mich an eine Silvesternacht in Pulheim
erinnern, da musste ich als junger Beamter zu einem Fall von
häuslicher Gewalt. Ein Mann bedrängte seine hochschwangere Frau. Ich
habe die beiden voneinander getrennt. Dann ist bei ihr die Fruchtblase
geplatzt, und die Wehen haben eingesetzt. Draußen lag meterhoch
Schnee, und der Notarzt kam nicht durch. Ich habe dann versucht, sie
mit dem Streifenwagen zur Feuerwache zu bringen. Dafür habe ich so
lange gebraucht - ich musste ja immer wieder anhalten, telefonieren
und mich um die Frau kümmern - dass uns der Ehemann dort schon
erwartet hat. Während der Kollege von der Feuerwehr sich um die Frau
gekümmert hat, musste ich mich mit dem Ehemann prügeln. Da ging es
heftig zur Sache. Es ist aber alles gut gegangen, das Kind ist im
Krankenhaus gesund zur Welt gekommen.

Besonders geprägt hat mich die Zeit in der Erstaufnahmestation
während der Flüchtlingskrise. Das war eine wichtige menschliche
Erfahrung für mich und eine tolle Zusammenarbeit mit allen
Beteiligten. Wir waren ja ein zusammengewürfeltes Team, aber das hat
super funktioniert. Da muss ich der Stadtverwaltung ein großes Lob
aussprechen. Ich habe die Zeit genutzt, um für Vertrauen zu werben.
Diese Menschen waren völlig entwurzelt, sie kamen aus Kriegsgebieten,
hatten Gewalt erlebt und mit Uniformen meist keine guten Erfahrungen
gemacht. Für die Kinder war ich der „Schokopolizist“, für die
Erwachsenen ein Ansprechpartner.

Gab es auch skurrile Einsätze?

Kirch: Über die besonders skurrilen sprechen wir nur unter
Kollegen. Die sind nichts für die Presse. Sie haben meist mit
menschlichen Abgründen und Schwächen zu tun. Wir haben es mit
Menschen zu tun, da bleibt die Skurrilität nicht aus.

Was schätzt Du an Frechen?

Kirch: Die kleinstädtische Übersichtlichkeit. Man kennt sich
– im Guten wie im Schlechten. Ich mag es nicht so anonym.

Was kommt nach der Dienstzeit?

Kirch: Wahrscheinlich vier Wochen lang urlaubsähnliche
Gefühle und dann beginnt die Zeit des Vermissens. Aber ich habe ja
noch die Fotografie, und ich möchte ein Buch über die
Luftschutzanlagen in Frechen schreiben. Frechen war im Deutschen Reich
für seine große Zahl an zivilen Luftschutzanlagen bekannt. Knapp 200
Bunker wurden bereits entdeckt. Zu Hause wartet dazu eine
Materialsammlung in 25 Aktenordnern auf mich.

Was wünschst Du Dir für Deinen Nachfolger und Deine Kollegen?

Kirch: Dass sie gesund durchkommen. Ich bin körperlich relativ
unbeschadet geblieben, soviel Glück hatten bei weitem nicht alle.

Vielen Dank für das Gespräch.

Walter Kirch wurde 1956 in Aachen geboren. Mit 17 Jahren ging er zur Polizei. Nach seiner Ausbildung im Rheinland kam er 1975 als Polizeihauptwachtmeister nach Frechen. Seit 23 Jahren ist er Bezirksdienstbeamter für den Bereich Innenstadt. Für die meisten Frechener ist er daher „der Dorfsheriff“. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn auf Grube Carl. | Foto: Lars Kindermann
Gruppenbild mit dem Dorfsheriff: Für die Passanten und Geschäftsinhaber in der Frechener Innenstadt war Walter Kirch 27 Jahre lang Anlaufstelle und Ansprechpartner. | Foto: Lars Kindermann
Redakteur/in:

Lars Kindermann aus Rhein-Erft

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