Der mit dem Mund malt
Blattgold zu Gast beim Kölner Dr. Rainer Broicher

Das Team der Schreibwerkstatt Blattgold besuchte Dr. Rainer Broicher, den Kölner "Mund-Art"-Künstler. | Foto: Blattgold
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  • Das Team der Schreibwerkstatt Blattgold besuchte Dr. Rainer Broicher, den Kölner "Mund-Art"-Künstler.
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Der Kölner Künstler Dr. Rainer Broicher malt ohne seine Hände.
Weil er durch einen sehr schweren Unfall eine Querschnittslähmung
hat, malt er mit seinem Mund. Er malt am liebsten Bilder von seiner
Heimat Köln und den Kölner Dom.

Sie sind sehr schön, super, genial. Blattgold hat sich mit dem
Künstler bei seiner Ausstellung in Alt St. Ulrich zu einem Interview
getroffen. Wir haben mit ihm über seine genialen Bilder gesprochen
und dabei viel über ihn als Mensch in Erfahrung bringen können.

Blattgold: Hallo Herr Dr. Broicher, wie malst du eigentlich mit
dem Mund?

Dr. Rainer Broicher: Ich habe einen sogenannten Mundstab, an
dessen Spitze sich ein Stift befindet mit dem ich mein Tablett und
Smartphone bediene. Wenn ich male, ist da vorne statt einem Stift ein
Pinsel. Auf einem Tisch steht etwas erhöht eine Staffelei mit einem
Papier, das auf beiden Seiten mit einem Gummi gehalten wird. So
entstehen Ränder und Striche, die ihr bei manchen Bildern an der
Seite noch sehen könnt.

Susanne Sasse: Wir haben schöne Bilder hier von dir gefunden.
Ein ganz tolles Bild mit vielen Farben… Das mit Silvester ist so
schön…

Dr. Rainer Broicher: Das Feuerwerk am Kölner Dom.

Susanne Sasse: Ja. Und das bunte Bild mit dem Richterfenster.
Können Sie für mich das Bild nochmal machen? Ich möchte das so
gerne haben. Mit dem Kölner Dom…

Cedric Eichner: Ich hatte gerne das Bild mit dem FC-Stadion in
ganz groß für meinen Vater, der ist Schalke-Fan.

Dr. Rainer Broicher:Wie kann dein Vater Schalke-Fan
sein?

Blattgold: Wir haben das Bild vom Schokoladenmuseum gesehen.
Das Bild ist schön.

Dr. Rainer Broicher: Das freut mich, wenn euch meine Bilder
gefallen. Wenn ich den Betrachtern eine Freude machen kann, macht es
mir auch eine Freude.

Was kosten denn die Bilder?

Dr. Rainer Broicher: Die Originale kosten ab 1000 Euro.

So viel Geld haben wir nicht.

Dr. Rainer Broicher: Es gibt auch Kunstdrucke, die sind
preiswerter. Und wenn man von weitem guckt, fällt gar nicht auf, dass
es nicht gemalt ist.

Die Bilder sehen nach viel Arbeit aus. Und Sie malen die nur mit
einem Pinsel. Wie lange dauert das?

Dr. Rainer Broicher: Das ist unterschiedlich. Für Bilder
wie das Tanzbrunnenbild brauche ich zwischen vier bis acht Stunden.
Das Brückenbild oder das von den Stadttoren waren dagegen
zeitintensiver, weil es feiner ist und die Proportionen stimmen
müssen. Am ‚Wasserspeier‘ – eins meiner Lieblingsbilder –
habe ich lang gesessen und auch sonst bei Detailaufnahmen des Doms.
Wenn es in die Einzelheiten geht, dann wird es deutlich aufwendiger,
auch, was die Zeit angeht. Darum versuche ich immer, früh mit einem
Bild anzufangen, damit ich es an einem Tag fertig kriege.

Warum?

Dr. Rainer Broicher:Weil ein Bild eine Stimmungssache ist,
die auch rüberkommen soll. Es ist schwierig, wenn ich ein Bild an
einem anderen Tag weitermalen müsste, da ich mich erst wieder ins
Motiv reinfühlen und reindenken muss. Und es wird vor allen Dingen
schwierig mit der Farbgebung und die Mischung, da ich nur einen Pinsel
zur Verfügung habe.

Blattgold: Was bedeuten die roten Punkte auf den Bildern?

Dr. Rainer Broicher:Dann sind diese Bilder bereits
verkauft.

Wo hängen die ganzen Bilder bei Dir zu Hause?

Dr. Rainer Broicher: Zu Hause hängt nur ein Bild, das ich
gemalt habe. Die anderen Bilder bewahre ich in einer Mappe auf.

Und welches Bild ist das?

Dr. Rainer Broicher:Das Bild mit dem Kaiser Wilhelm.

Claudia Broicher:Das war das Titelbild des ersten Kalenders
und mein Lieblingsbild. Seit letztem Jahr gibt es noch ein Bild bei
uns: der Rosenmontagszug.

Dr. Rainer Broicher: Ich mag die schwarz-weiß Motive sehr
gerne.

Susanne Sasse: Mir macht es eine Freude, wenn ich die Bilder
sehe mit den vielen Farben. Ihre Bilder sehen so schön aus, genial,
sonnig und strahlen. Sind Sie als Mensch auch so?

Dr. Rainer Broicher:Mit Sicherheit. Irgendjemand hat mal
gesagt, die Bilder erscheinen sehr kindlich. Das empfinde ich nicht
als despektierlich oder negativ. Ehrlich gesagt hat mir das sehr gut
gefallen. Mich als Kind Kölns und Köln im Blickpunkt meiner Bilder
sehe, und ich mit Köln überwiegend Heiterkeit verbinde. Bei meinem
ersten Kalender hat jemand geschrieben: ‚Und der Himmel ist immer
blau.‘ Das stimmt. Für mich gehört zu Köln ein blauer Himmel,
weil ich mich hier wohlfühle – das ist einfach meine Heimat. Und
Heimat stelle ich mehr blau statt grau vor. Heiter, stimmungsvoll und
fröhlich.

Sie sind in Köln geboren worden an einem besonderen Tag, an
Rosenmontag…

Dr. Rainer Broicher:Ja, am höchsten Feiertag von
Köln!

Du hast 12 Bilder vom Kölner Dom für einen Kalender gemalt, weil
der Zentral-Dombau-Verein 175. Jubliläum hatte. Das war ein großes
Kompliment, oder?

Dr. Rainer Broicher: Ja, das war es. Das war eine erhebliche
innere Ehre für mich. Als eingefleischter Kölner mit dem Dom als
großes Identifikations- und Integrationsobjekt in Köln, war das das
höchste der Gefühle.

Haben Sie zu Hause nur Bilder von Köln?

Dr. Rainer Broicher: Ja, mir kamen immer nur Kölnbilder an
die Wand! Ich habe sehr viele Kölnbilder aus alten Zeiten, viele
Drucke, aber auch alte Kunststiche. Aber die haben wir nach unserem
Umzug aus unserem Haus leider nicht mehr an den Wänden, da wir jetzt
weniger Fläche und weniger Wände haben. Von meinen drei Kindern
haben wir auch Bilder – ein lebensgroßes Triptychon.

Wie alt sind Ihre Kinder?

Dr. Rainer Broicher:14, 15 und 17.

Können Sie auch mit dem Mund schreiben oder ist das zu schwer?

Dr. Rainer Broicher:Ich kann auch mit dem Mund
schreiben. Ich habe jetzt eine etwas krakeligere Schrift und je nach
Stift, geht es auch nicht so gut.

Blattgold: Schreiben Sie Schreibschrift oder Druckschrift?

Dr. Rainer Broicher:Beides.

Cedric Eichner: Ich kann nur Druckschrift. Schreibschrift kann
ich nicht so gut.

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Malen Sie gerade an einem Bild?

Dr. Rainer Broicher:Nein, ich bin zurzeit in einer
Schaffenspause und promote meinen 4. Kölnkalender. In 2, 3 Wochen
werde ich wieder malen. Ich habe Ideen im Kopf, sowohl von
Köln-Motiven, die ich im nächsten Jahr verwirklichen will, als auch
Aufträge von Leuten, die an mich herantreten.

Jessica Reinhard: Darf ich Ihnen einen Tipp geben? Wenn Sie
laufen und alles lernen möchten, dann gehen Sie zu einer
Physiotherapeutin. Die kann dir helfen. Dann kannst du alleine wieder
alles machen … Geh da hin. Dann wirst du wieder richtig gut laufen
lernen. Dann können Sie wieder arbeiten gehen. Oder sind Sie Rentner?

Dr. Broicher:Zurzeit bin ich Rentner, weil ich nicht mehr
als Arzt arbeiten kann, und bekomme eine Berufsunfähigkeitsrente. Ich
habe aber eine Familie, die ich ernähre und Kinder, die ich
finanziell unterstützen möchte, wenn sie später einen Beruf
erlernen. Ich könnte medizinische Gutachten machen, aber dann kommt
die Stelle, die mir das Geld gibt, und sagt, du kriegst von uns nichts
mehr. Außer Malen kann ich im Moment nicht viel machen. Und die
Malerei kann ich nebenher machen und zusätzlich dazu nehmen, da bin
ich frei, da spricht mir niemand rein …

Wie fanden Sie meine Idee? Ich wollte Sie nicht angreiflich
gefühlt.

Dr. Rainer Broicher:Die Idee fand ich super! Ich arbeite
daran, dass ich wieder aufstehen kann. Und ich bin noch im festen
Glauben, dass ich wieder aufstehe. Leider sagen mir meine Kollegen von
der Schulmedizin, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass ich das
schaffen kann. Aber ich glaube an Gott, bete viel und spreche sehr oft
mit dem lieben Gott. Und ihn bitte ich auch immer wieder, dass das
Wunder geschehen mag und ich wieder aufstehen kann.

Jessica Reinhard: Früher habe ich oft gesagt, ich kann gar
nichts. Man muss aber sagen: Ich bin ein Mensch, ich bin behindert –
oh, Entschuldigung, ich wollte dich nicht Behinderter zu dir sagen …

Dr. Rainer Broicher:…ich bin ja auch behindert.

Jessica Reinhard: Es gibt Leute, die sagen: Behinderte können
nichts. Das ist Blödsinn! Es gibt andere, normale Menschen, die
können noch viel weniger und sind komplizierter als behinderte
Menschen. Wenn Sie nicht mehr alleine zu Hause leben, das geht bei
Ihnen ja nicht so schön.

Dr. Rainer Broicher:Doch, zu Hause kann ich gut leben.

Ja, aber nicht, wenn Ihre Frau mal schwer krank ist zum Beispiel,
dann melden Sie sich doch im Betreuten Wohnen an. Da kriegen Sie
Hilfe, die duschen einen und Sie werden selbstständiger – das wird
alles gemacht.

Dr. Rainer Broicher:Das ist eine Frage, die ich mir auch
stelle. Wenn unsere Kinder ausziehen oder es mir nicht gut geht –
ich war vor kurzem mal im Krankenhaus, da haben wir wirklich ein
Problem.

Warum bist du im Rollstuhl drin?

Dr. Broicher: Weil ich einmal ganz großen Blödsinn gemacht
habe. Unser Nachbar hat sich beschwert, dass ein ganz hoher Baum aus
unserem Garten seine Fassade kaputtmachen würde. Ich dachte, dass ich
den Baum alleine beschneiden kann und bin ganz hoch geklettert, habe
den Baum beschnitten und als ich wieder runtergehen wollte, ging es
leider viel zu schnell, da bin ich heruntergefallen.

Aber auf den Rasen, oder?

Dr. Rainer Broicher:Ja, Gott sei Dank auf dem Rasen, denn
sonst säße ich vielleicht gar nicht mehr hier. Nebenan war gleich
eine Betoneinfahrt.

Hat der Nachbar dann den Krankenwagen gerufen?

Dr. Rainer Broicher:Wahrscheinlich, denn außer mir war
sonst niemand im Garten. Danach war der Nachbar nicht mehr so lieb.
Als ich im Krankenhaus lag, hat er meine Frau angerufen und ihr
gesagt, dass sie das Grünzeug, was ich da abgeschnitten hätte, noch
unbedingt aus seiner Ausfahrt räumen soll.

Hat sie das dann gemacht?

Dr. Rainer Broicher: Nein, mein Bruder. Meine Frau war zu
dem Zeitpunkt schon bei mir im Krankenhaus.

Wann ist das passiert und sitzt du seitdem im Rollstuhl?

Dr. Rainer Broicher:Ja, seit vier Jahren.

Wann haben Sie Ihre Hilfsmittel bekommen? Direkt oder mussten Sie
sich die erkämpfen?

Dr. Rainer Broicher:Den Elektrorollstuhl hatte ich zwei
Monate nach dem Umfall. Meine werten Kollegen haben versucht mir die
Gedanken auszutreiben, dass ich jemals wieder aufstehen kann und mir
gesagt: ‚Das passiert sowieso nicht. Gewöhnen Sie sich an den
Elektrorollstuhl‘. Den Mundstab, den Mundpinsel und so weiter habe
ich später in der Reha bekommen, in Monau, das ist das älteste
Querschnittszentrum in Deutschland. Ich hatte das große Glück, dass
sich meine Frau bei der Krankenkasse sehr dafür eingesetzt und
erwirkt hat, dass ich da noch hinkam, nach langem Kampf.

Wer kümmert sich um Ihre Körperpflege, ihre Frau?

Dr. Rainer Broicher:Nein, das haben wir strikt getrennt!
Das verbiete ich meiner Frau auch.

Jessica Reinhard: In einer Klinik kann man Ihnen helfen. Sie
müssen sich da anmelden, damit Sie wieder alleine laufen können,
shoppen und ins Phantasieland.

Dr. Rainer Broicher:Momentan geht das bei mir noch nicht so
einfach. Es gibt schon Methoden, die in die Richtung gehen, dass sich
da für mich etwas ergibt. Und die Wissenschaft geht immer weiter.
Ansonsten bete ich sehr viel und bitte den lieben Gott, dass er mir
hilft.

Blattgold: Sie haben einen guten Draht nach oben, allein durch
Ihre Dom-Bilder.

Dr. Rainer Broicher lacht.

Blattgold: Waren Sie vor Ihrem Unfall schon kreativ oder haben
Sie damit erst nach Ihrem Unfall angefangen?

Dr. Rainer Broicher:Ich war immer kreativ. Mit meinen
Kindern habe ich immer viel gebastelt und auch für sie; als
Jugendlicher habe ich viel Modellbau gemacht und dadurch eine ruhige
Hand bekommen, was mir später im Beruf nützlich war. Ich habe meinen
Beruf auch immer als kreativ empfunden, da ich viel chirurgisch
gearbeitet habe. Ich habe Ohren und Nasen korrigiert, fein genäht –
darin bin ich aufgegangen. Während meiner Berufszeit habe ich keine
Zeit mehr gehabt, mich künstlerisch auszuleben. Als Ausgleich habe
ich Gartenarbeit gemacht.

Claudia Broicher:Mein Mann hat mit den Kindern Laternen
gebastelt, die Schultüten gemacht. Er ist schon sehr kreativ gewesen
– und sehe pingelig.

Was brauchen Sie, um die Bilder malen zu können?

Claudia Broicher: Den hohen Anspruch an sich selbst.

Dr. Rainer Broicher: Ich brauche die Liebe zu Köln, die Liebe
zu den Motiven und Ruhe. Unter Zeitdruck male ich nicht gern.

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