80 Jahre Kriegsende
Kampf um Frechen

Deutsche Soldaten vor der Gaststätte Herbertz (später Urstoff) in Frechen-Hücheln. | Foto: Archiv/Sammlung Bock
  • Deutsche Soldaten vor der Gaststätte Herbertz (später Urstoff) in Frechen-Hücheln.
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Im Jahr 2025 zogen Anfang März bunt kostümierte Jecken – friedlich und gut gelaunt - durch die Straßen des Rheinlands. Genau 80 Jahre zuvor war die Situation eine andere: US-Streitkräfte hatten am 1. März in großer Zahl die Erft überquert, rückten Meter um Meter nach Köln vor und die Straßen in Richtung Rhein waren überfüllt mit Flüchtenden und deutschen Truppen auf dem Rückzug. In den Ortschaften, die heute zu Frechen gehören, wurde bis zum 4. März gekämpft. Anhand vieler Publikationen des Frechener Geschichtsvereins und des Stadtarchivs Frechen sowie engagierten Lokalhistorikern wie Professor Dr. Paul Stelkens, Martin Bock, Günther Kraushaar, Dr. Jochen Menge und Helmut Weingarten versuchen wir in dieser Ausgabe, die letzten Kriegstage in Frechen zusammenfassend zu schildern.

von Lars Kindermann

„Mit bitter wehem Gefühl sehe ich die vielen Flüchtlinge mit Karren, Handwagen, Fahrrädern und weniger Habe an mir vorbeiziehen. (…) Viele erwarten die Amerikaner mit Sehnsucht und versprechen sich von ihnen nur Gutes“, schreibt Grubensteiger Paul Reichmann aus Grefrath am 27. Februar 1945 in sein Tagebuch. Seine spannenden Eindrücke vom Kriegsgeschehen vor Ort veröffentlichte Erhard Stolz unter anderem in einer „Unter uns“-Ausgabe des Kultur- und Heimatvereins Grefrath.

Erschwert wurde die Situation durch näher rückendes Artilleriefeuer, Flächenbombardements und immer wieder angreifende Jagdflugzeuge. Die Zivilbevölkerung verließ die Luftschutzbunker nur noch selten. „Für stundenweise Benutzung ist der Schutzraum gut angelegt, doch für Tag und Nacht ist der Raum zu eng, die Luft ist schlecht“, schreibt Reichmann aus einem Bunker, in dem 350 Personen Zuflucht gesucht haben.

Angriff auf Habbelrath

Bereits am 1. März beginnt der Kampf um Habbelrath. Aus der Deckung eines Wäldchens am Sportplatz heraus verteidigen deutsche Verbände den Ortseingang. Es folgen dauerhafter Artilleriebeschuss und ein zweitägiger heftiger Kampf um den Ort. Deutsche Soldaten ziehen sich schließlich nach Grefrath zurück. Drei davon finden Unterschlupf bei Paul Reichmann.

„Ein mitleidiges Gefühl durchzieht mich, wenn ich die Kampfgestalten sehe. Verstaubt und beschmutzt ist ihre Kleidung, hart die Gesichtszüge, obwohl sie mir noch recht jung erscheinen“, beschreibt dieser die Männer in seinem Tagebucheintrag vom 2. März. Schon am Abend trennen sich ihre Wege wieder: „Ein derber Händedruck und gute Wünsche, dann war ich wieder allein“, schreibt der Zeitzeuge.
„Peitschende Pistolenschüsse“, das „wütende Bellen einer Panzerkanone“ und das „Trommelfeuer der Ari“ (Artillerie) begleiten ihn an diesem Abend auf seinem Weg zurück zum Luftschutzbunker.
Versuche der Wehrmacht die US-Besatzer mit Sturmgeschützen und Panzern aus Habbelrath zu vertreiben scheitern.

„Hier nix Kamerad“

Am Samstag, 3. März erreichen die US-Truppen Grefrath. „Immer näher kommen die Panzer und schon rollt der erste unter wildem Feuer am Haus vorbei. Unverständliche Worte dringen an meine Ohren und dazwischen Hilfeschreie“, schildert Reichmann die Kampfhandlungen kurz bevor Soldaten seinen Keller stürmen „Wild hämmert mir das Herz in der Brust – das ist die Angst um das Leben. Was werden sie mit mir machen?“, fragt sich der Grefrather, als die Männer ihn zum Herauskommen aufrufen und brüllen: „Kamerad come on“. Aus Angst erschossen zu werden antwortet dieser: „Hier nix Kamerad, hier Zivilist!“.

Daraufhin fliegt eine Handgranate in den benachbarten Kellerraum und explodiert. Der nächsten Aufforderung zum Herauskommen folgt Reichmann umgehend. Der Kampf um Grefrath dauert nur wenige Stunden. Bereits um 8.10 Uhr meldet die US-Armee den Ort als „eingenommen“ und zieht weiter in Richtung Bottenbroich und Frechen.

SA-Terror bis zum Schluss

Auch hier verlassen die Menschen schon seit Tagen nicht mehr die Luftschutzbunker. Sehr zum Ärger der Nazis. Die Parteibonzen haben sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf die andere Rheinseite zurückgezogen. Jetzt soll die Zivilbevölkerung folgen. Aber kaum jemand will sich der Gefahr aussetzen, auf seinem Weg nach Wesseling durch Artillerie oder Tiefflieger getötet zu werden.

SA-Schläger sollen die Frauen und Kinder aus den Bunkern treiben. „Was soll man tun? Bleiben ist die Parole. Alle Frauen sind sich einig“, schreibt Katharina Weingarten aus Frechen. Ihre Tagebucheinträge wurden im Buch „Wenn alles in Scherben fällt“ von Günther Kraushaar vom Frechener Geschichtsverein veröffentlicht.
Als die SA-Männer mit der Sprengung der Bunker drohen, wehren sich die Frauen. Katharina Weingarten: „Die SA hat gestaunt, wie einig sich das Volk war“. Die SA-Männer nehmen von ihrem Plan abstand und betrinken sich lieber.

Sechs deutsche Artilleriegeschütze nahe der Lindenstraße ziehen sich in Richtung Köln zurück. Am 3. März werden auch neun Frechener Polizeibeamte nach Köln beordert. Sie sollen mit Karabinern, Panzerfäusten und einem Maschinengewehr Köln gegen die anrückenden US-Streitkräfte verteidigen.
„In Frechen selbst setzten sich in den letzten zwei Kriegstagen, also am 3. und 4. März 1945, noch etwa drei Dutzend Soldaten mit drei MGs sowie fünf Panzern gegen die von Benzelrath anrückenden Amerikaner zur Wehr“, fasst Lokalhistoriker Dr. Jochen Menge zusammen.

„Willst Du einen richtigen Krieg sehen?“

„Ein zusammengewürfelter deutscher Soldatentrupp wurde amerikanischen Truppen aus Richtung Glessen/ Dansweiler auf den Feldern um das alte Forsthaus entgegengeworfen. Zahlreiche Soldaten starben“, schreibt Dr. Paul Stelkens in einem Beitrag für das Stadtarchiv Frechen.

„Mein Vater führte mich mit den Worten „Willst Du einen richtigen Krieg sehen?“ auf den Speicher ans Fenster. (…) Die Amerikaner kamen aus Richtung Glessen, Infanterie in einer Linie. Davor in einer Linie die Deutschen. Auf beiden Seiten fielen die Soldaten und blieben liegen. (…) Wir sind schnell wieder runter, weil es zu gefährlich war.“ erinnert sich der Königsdorfer Fritz Poulheim in Stelkens Artikel.

Durch Artilleriebeschuss werden elf Zwangsarbeiter aus Litauen in der Nähe des Brauweiler Friedhofs getötet.„Ein Geschoss traf auch eine seit ihrer Kindheit in Bachem lebende polnische Arbeiterin vom Gut Neu-Hemmerich, die sich mit ihrem polnischen Freund, einem Zwangsarbeiter, in der Wohnung ihrer Eltern auf der Grachtenhofstraße verabredet hatte. Beide starben und beide fanden ihre letzte Ruhestätte auf dem Bachemer Friedhof“, weiß Dr. Jochen Menge zu berichten.

Der Soldat in der Kartoffelkiste

In einem Luftschutzbunker in Königsdorf berichtet Christa Wolff in ihrem Tagebuch von acht deutschen Infanteristen die sich nicht, wie befohlen, in Richtung Köln zurückziehen, sondern lieber mit erhobenen Armen in Richtung Aachen marschieren wollen.

„Das waren schon vernünftigere Ansichten“, schreibt die damals 44-Jährige, die in ihrer Kartoffelkiste im Bunker einen weiteren deutschen Soldaten versteckt hält. „Er war sechs Jahre Soldat und wollte für eine aussichtslose Sache nicht mehr mittun“, schreibt sie. Ihre Aufzeichnungen aus den letzten Kriegstagen wurden von Helmut Weingarten im Buch „Königsdorf im Rheinland“ veröffentlicht.

In der Nacht zum 4. März rücken US-Bataillone bereits auf Benzelrath, Grube Carl und Frechen vor. Mehrere Vorposten der Wehrmacht werden in der Nacht, meist ohne Gegenwehr, eingenommen.

In Königsdorf versucht in dieser Nacht, ein deutsches Kommando den Eisenbahntunnel nach Horrem zu sprengen. Sie werden von der US-Artillerie getroffen und getötet.

„Eine schöne Schießerei“

Im Luftschutzbunker unter der Ringschule suchen Soldaten der SS nach Deserteuren und Männern für den Volkssturm, doch die haben sich alle im Keller der Metzgerei Kremer an der Hüchelner Straße versteckt. Grube Carl wird von den deutschen Truppen bereits um 3 Uhr morgens aufgegeben.

„Vier Panzer fahren über die Hauptstraße. Eine schöne Schießerei! Wäre es doch endlich vorbei! Es geht hin und her, herauf und herunter. Unsere paar armen Soldaten halten so viele Amerikaner in Schach“, notiert Katharina Weingarten in ihrem Tagebuch.

Eine Funkleitstelle der Deutschen Artillerie Im Turm der Villa Pauli in Königsdorf wird zum Ziel der US-Artillerie. Beim Beschuss des Areals kommt ein österreichischer Soldat ums Leben. Sein Grab findet sich noch heute auf dem Schwesternfriedhof im Park des St. Elisabethheims.

Beim Kampf um Frechen wird eine Granatwerferstellung getroffen, vier Soldaten kommen ums Leben. Aufgrund mangelnden Treibstoffs lässt die Wehrmacht intakte Fahrzeuge zurück. Über die obere Hauptstraße rücken die US-Truppen in Richtung Adolf-Hitler-Ring (heute Freiheitsring) vor.

Matthias Engels, Rektor der Lindenschule, wird um 9 Uhr von US-Soldaten beim Kaffee aufgießen überrascht. Sie gehen in seinem Haus in Stellung, die Zivilisten fliehen in den Keller. Doch die Deutschen Truppen wagen einen Gegenangriff und vertreiben die Amerikaner wieder. Diese suchen nun Zuflucht in einem Luftschutzbunker.

Engels berichtet in dem Buch „Wenn alles in Scherben fällt“ von einem jungen deutschen Soldaten, der eine Panzerfaust durch den Luftschacht des Bunkers schießen will, aber von der Bevölkerung daran gehindert wird. Engels: „Immerhin waren da ja bald hundert Frauen und Kinder im Bunker“. Stattdessen geht der Soldat in den Bunker und kommt mit drei gefangenen US-Soldaten wieder heraus.

Kinder sterben durch deutsche Granaten

Doch die deutschen Soldaten müssen schließlich der US-Übermacht weichen. Als im Uhrentürmchen des Rathauses die weiße Fahne gehisst wird, schießt die deutsche Artillerie den Turm in Trümmer. Auch zwei Kinder kommen durch deutsche Artilleriegeschosse ums Leben.

Im Bunker in Königsdorf wächst die Angst der dort versteckten Soldaten und Volkssturm-Angehörigen vor Todeskommandos der SS, die Deserteure erschießen sollen. Als plötzlich das Licht ausgeht und Truppen in den überfüllten Bunker eindringen ruft Christa Wolff forsch: „Was ist dann da los?“ und bekommt die erlösende Antwort: „Amerikanische Soldiers!“ Erleichtert präsentiert sie ihren Soldaten aus der Kartoffelkiste. „Die Amerikaner haben sich geschüttelt vor Lachen“, schreibt sie.

Verhaftet und erschossen

Gegen 9.30 Uhr erreicht die US-Armee bereits Buschbell und Hücheln. In Buschbell haben sich noch einige deutsche Soldaten im Saal Henseler verbarrikadiert. Die meisten ergeben sich kampflos, einer jedoch versucht zu fliehen und wird erschossen. Gottfried Mertzenich, Inhaber eines Lebensmittellagers, wird von den Amerikanern verhaftet. Am Morgen des 6. März findet man ihn erschossen im Hause Gedingstraße 124. Die Hintergrunde zu der Tat bleiben ungeklärt. In seinem Beitrag „Good morning, Father“ im 11. Jahrbuch des Frechener Geschichtsvereins schreibt Autor Martin Bock nur, dass Mertzenich aus Köln stammte und ein „Volkssturmmann“ gewesen sein soll.

„Insgesamt hatte Frechen den Krieg vergleichsweise gut überstanden. Es gab etwa 50 Tote und 32 komplett zerstörte, 38 teilweise zerstörte und 560 leicht beschädigte Häuser. In unserer unmittelbaren Nachbarschaft hatten beispielsweise Hürth und Kerpen deutlich mehr Schäden, und die Innenstädte von Köln, Düren und Jülich wurden ja fast völlig zerstört“, fasst Dr. Jochen Menge abschließend zusammen.

Redakteur/in:

Lars Kindermann aus Rhein-Erft

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