Schleyer-Entführung
Der entscheidende Hinweis ging verloren

Ein Jahr vor der Entführung: Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer bei der Eröffnung des „Universitätsseminars der deutschen Wirtschaft“ im Schloss Gracht in Liblar. Zehn Tage hielten die Entführer Schleyer in einem Hochhaus in Liblar gefangen. | Foto: Archiv der Stadt Erftstadt, Bildarchiv: Best. Liblar 
  • Ein Jahr vor der Entführung: Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer bei der Eröffnung des „Universitätsseminars der deutschen Wirtschaft“ im Schloss Gracht in Liblar. Zehn Tage hielten die Entführer Schleyer in einem Hochhaus in Liblar gefangen.
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Im ersten Teil unserers Rückblicks haben wir in der vorigen Woche
über die Entführung von Hanns Martin Schleyer berichtet. In den
Septembertagen 1977 stand Polizeihauptmeister Ferdinand Schmitt aus
Lechenich vor der Tür der meistgesuchtesten Wohnung Deutschlands –
nur kurze Zeit nach der spektakulären Verschleppung des
Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer durch das RAF-Kommando
Siegfried Hausner.

Erftstadt. Bereits zehn Minuten nach Schleyers Entführung
hatten am Tatort in der Kölner Vincenz-Statz-Straße die
polizeilichen Ermittlungen begonnen. Eine Stunde später wurde die
Suchaktion auf ganz Nordrhein-Westfalen ausgeweitet, BKA-Chef Horst
Herold zum zentralen Einsatzleiter ernannt. Mit Hilfe der von ihm
entwickelten, computergestützten „Rasterfahndung“ sollten die
Drahtzieher der Entführung ermittelt werden. Was Herold nicht
einkalkulierte, war die Möglichkeit, dass ein entscheidender Hinweis
im Polizeiapparat untergehen könnte.
Und dies führt zu Polizeihauptmeister Ferdinand Schmitt: Am 7.
September, zwei Tage nach der Tat, begab sich der Erftstädter
Polizist wie viele Kollegen der örtlichen Polizeibehörden auf die
Suche nach Schleyers möglichem Aufenthaltsort. Ein Hinweis der
Hausverwaltung des Renngrabens auf eine in bar zahlende Mieterin ließ
Schmitt aufhorchen. Mit einem Fernschreiben teilte der
Polizeihauptmeister von der Wache in Lechenich seine Entdeckung den
vorgesetzten Behörden mit – doch nichts geschah. Seine Hinweise auf
das RAF-Versteck blieben irgendwo im Polizeiapparat hängen – wo
genau, ist bis heute nicht geklärt.

Vermutlich wurde die heiße Spur von der Sonderkommission des BKA als
nicht relevant eingestuft. Dabei hätte die Überprüfung des Namens
der angeblichen Mieterin vom Renngraben 8 in Liblar rasch zu einem
Erfolg geführt. Immerhin hatte eine Frau namens Annerose
Lottmann-Bücklers wiederholt Ausweispapiere als gestohlen gemeldet,
um sie und ihre Identität, so die spätere Vermutung der Fahnder, der
RAF zur Anmietung von Wohnungen zur Verfügung zu stellen. 

Horst Landmann, damals Innendienstleiter der Dienststelle Lechenich
und Kollege des mittlerweile verstorbenen Ferdinand Schmitt erinnert
sich: „Wie ich hat auch unser Dienststellenleiter Rolf Breithaupt
Schmitts Verdacht geteilt und gesagt: Die sind hier irgendwo! Leider
gab es nichts wirklich Konkretes, um eingreifen zu können.“ So
hegte Schmitt schließlich eigene Pläne, um die Terroristen
aufzuscheuchen. Sein Vorhaben, Strom und Wasser in der Liblarer
Wohnung sperren zu lassen, konnte nicht umgesetzt werden. Auch ein
Besuch der Wohnung am Renngraben blieb ohne Erfolg. Hätte man auf
Schmitt gehört, wäre Schleyer vielleicht am Leben geblieben. Und
möglicherweise hätte die Enttarnung des Verstecks der nachfolgenden
Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut mit 91 Personen an Bord
durch kooperierende arabische Terroristen Einhalt geboten.
Zehn Tage hielten die Entführer Schleyer in Erftstadt versteckt.
Danach wurde er in Den Haag und Brüssel festgesetzt. Wenige Stunden
nach der Befreiung der Landshut-Geiseln durch die deutsche
Spezialeinheit GSG 9 am 18. Oktober begingen die RAF-Häftlinge
Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im
Hochsicherheitstrakt von Stuttgart-Stammheim Selbstmord. Ihr Freitod
wiederum gilt als Auslöser für die Ermordung Hanns Martin Schleyers,
dessen Leiche einen Tag später im Kofferraum eines Autos im
lothringischen Mulhouse gefunden wurde.
Im November 1977 kehrten die BKA-Ermittler noch einmal nach Erftstadt
zurück. Zahlreiche Fahnder, verteilt auf Wohnungen im Umkreis des
Renngrabens, observierten die verdächtige Mietwohnung in der
Hoffnung, die Entführer würden zum Tatort zurückkehren. Das war
nicht der Fall. Stattdessen ging bei der Hausverwaltung im Januar 1978
die ordnungsgemäße Kündigung des Mietverhältnisses ein: Fräulein
Lottmann-Bücklers nannte sich nun Ms. Johnson und gab eine
postlagernde Adresse in Sydney/Australien an. 

- Claudia Scheel

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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