Existenzängste der Apotheken
Apotheken stehen vor dem „Aus“

Am Streiktag demonstrierten unzählige Apotheker unter anderem für bessere Bezahlung und weniger Bürokratie.  | Foto: Siegtal-Apotheke
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  • Am Streiktag demonstrierten unzählige Apotheker unter anderem für bessere Bezahlung und weniger Bürokratie.
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Lieferengpässe, geringe Vergütung und unnötige Bürokratie gefährden die Existenz der Apotheken

Rhein-Sieg-Kreis. „Es wurde festgestellt, dass ein Versorgungsmangel mit diesem Arzneimittel/diesen Arzneimitteln vorliegt.“ Monika Pelzer-Faraut, Inhaberin der „Siegtal-Apotheke“ in Kaldauen schüttelt nur mit dem Kopf. Das Schreiben des Kreisgesundheitsamtes ist datiert auf den 2. Mai 2023 und macht nur amtlich, was alle längst wissen: Dass bei antibiotikahaltigen Arzneien in Form von Säften oftmals keine alternativen, gleichwertigen Therapien zur Verfügung stehen.

Auch Monika Pelzer-Faraut geht für die Zukunft von Patienten und Apothekern demonstrieren. | Foto: Woiciech
  • Auch Monika Pelzer-Faraut geht für die Zukunft von Patienten und Apothekern demonstrieren.
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„Der Medikamentenmangel existiert nicht erst seit Sommer 2022 bedingt durch den Ukraine-Krieg oder die Corona-Pandemie, sondern begann schon Jahre vorher.“

Die extremen Auswirkungen konnte die Apothekerin vor einiger Zeit hautnah miterlebt. „Ende April war hier Notdienst. Da kamen ungefähr 140 Patienten, unter ihnen eine verzweifelte Mutter aus Köln, die bereits 15 Apotheken abgefahren hatte und dringend ein Antibiotikum für ihr Kind brauchte, das an Scharlach erkrankt war.“

Der Notstand ist also auch im Rhein-Sieg-Kreis bittere Realität. Nicht allein die Medikamente, ebenso die Ausgangsstoffe sind sehr schwer zu bekommen. Ursachen dafür sieht Monika Pelzer-Faraut in der Abhängigkeit von Indien und China. „Die Hersteller produzieren im Ausland, zum Teil unter katastrophalen Bedingungen für die dortige Bevölkerung. Die Pandemie verstärkte dann die bestehenden Probleme obendrein.“ „Sollten die Ausgangsstoffe letztendlich eintreffen und wir die Herstellung der benötigten Medikamente selbst vornehmen, stehen Arbeit und Bezahlung in keinem Verhältnis. Die Preise für die Rezepturen sind gesetzlich vorgegeben, entsprechen aber nicht der Realität für den Aufwand.“

Die Apothekerin demonstriert dies in ihrem Labor an einer einfachen Rezeptur. Vorneweg greift eine Identitätsprüfung der Ausgansstoffe, die vor Ort mit einer Nahinfrarot-Spektroskopie durchgeführt wird. Das teure Gerät hat die Siegtal-Apotheke extra angeschafft, um rascher handeln zu können. „Das lässt sich genauso nasschemisch durchführen – dauert alles nur länger.“ Natürlich landen die Rezepturbestandteile nicht einfach in einem Topitec (automatischer Rührer) – hier werden im Produktionsverfahren zusätzlich Herstellungsprotokolle und -anweisungen verfasst, sowie Plausibilitätsprüfungen bewältigt. „Alles in allem erfordert das eine dreiviertel bis eine Stunde, wenn man die Rezeptur kennt und schnell ist. Das ist anders, wenn man besondere Arzneien herstellt, zum Beispiel mit Harnstoffen, denn diese lassen sich nur per Hand anrühren.“

Das Taxieren der Rezepte rundet den Vorgang ab. „Die Hälfte der Zeit wird quasi für die Dokumentation aufgewendet und die Summe, die von der Krankenkasse für solch ein Medikament beglichen wird, deckt nicht annähernd die Kosten. Das ist defizitär, wir zahlen einfach nur drauf.“

Aufgrund des Mangels ist es jedoch nicht so einfach, eine Alternative zu nicht erhältlichen Medikamenten zu finden. „Wir müssen erst einmal schauen, was überhaupt lieferbar ist und welche Wirkstoffe adäquat genutzt werden können. Zunächst erfolgt das Gespräch mit dem Arzt, der ein neues Rezept ausfertigen muss. Die ganzen Telefonate und Kontrollen sind eine weitere Belastung für die Mitarbeiter, die bis zu 20 Minuten in Anspruch nehmen. Als Entschädigung für diesen Aufwand, sollen wir in Zukunft, laut Herrn Lauterbach, 50 Cent erhalten. Das entspricht einer Entlohnung von 19 Sekunden“, umschreibt es Christoph Matuschik, Inhaber der Süd-Apotheke in Bad Honnef. „Die Retaxierung, (Krankenkasse verkürzt die Vergütung) dauert oftmals bis zu einem Jahr. Wir gehen beim Kauf der Medikamente immer in Vorleistung. Und wenn der Arzt vergisst, die Dosierung auf dem Rezept zu notieren, bekommen wir null Euro. Durch Abschaffung unnötiger Bürokratie wären bei den Krankenkassen Einsparungen von vielen Millionen Euro möglich. Aber deren Sparpolitik der letzten Jahre rächt sich nun, etwa bei den Rabattverträgen. Uns steht das Wasser bis zum Hals.“

Ohnehin kursiert der Irrglaube, dass sich die Apotheken eine „goldene Nase“ verdienen. „An einem günstigen Medikament haben wir einen Rohertrag von rund acht Euro. Geht es um ein hochpreisiges Krebsmedikament, im Wert von 2.000 Euro, bleiben knapp 69 Euro. Damit sollen dann Geschäft, Personal und alle laufenden Kosten gedeckt werden. Es gibt Kollegen, die verzögern schon den Verkauf von hochpreisigen Arzneimitteln, bis der Patient in eine andere Apotheke geht, da es sich nicht lohnt.“

Eine Apotheke muss auch wirtschaftlich denken, denn neben dem Mangel an Arzneien und Ausgangstoffen bilden Personalprobleme und Fachkräftemangel weitere Herausforderungen. „Die Aussage des Großhändlers Noweda lässt nicht weniger aufhorchen, - alle 28 Stunden macht in Deutschland eine Apotheke dicht, für immer. Mein Glück ist, gute Leute zu haben.“Die Recherche von Christoph Matuschik dokumentiert dazu, dass in Deutschland auf rund 100.000 Einwohner circa 20 Apotheken kommen. „In Europa sind 30 der Durchschnitt. Außerdem finden viele keine Nachfolger, weswegen sie schließen müssen.“

Das Team der Siegburger Wilhelm-Apotheke beteiligte sich ebenfalls an der großen Demonstration in Düsseldorf.  | Foto: Woiciech
  • Das Team der Siegburger Wilhelm-Apotheke beteiligte sich ebenfalls an der großen Demonstration in Düsseldorf.
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An den Gedanken setzt ebenfalls Marc Remmel, Inhaber Wilhelm-Apotheke, Siegburg, an: „Auch ist es für die Mitarbeiter in der Apotheke frustrierend zu sehen, dass diese grundsätzlich von der Politik ignoriert werden. Es gibt seit zehn Jahren keine Vergütungserhöhung und im Februar hat man sogar nochmal einiges gekürzt. Gerne würde man, wie auch in anderen Branchen, einen Inflationsausgleich zahlen, das ist aber mit dieser Struktur nicht möglich. So wandern qualifizierte Leute aus den öffentlichen Apotheke ab, junge Menschen entscheiden sich für andere Berufe und etliche Apotheken werden aus Personalmangel und wirtschaftlichen Problemen aufgeben.“Das akute Defizit merken auch schon die Hersteller. So teilte etwa das Unternehmen Sanofi mit, dass sie die Produktion von Humaninsulin weltweit einstellen würden, da es Probleme bei der Komponentenversorgung gibt. „Das ist schlimm für die Patienten, die dann auf Alternativen umgestellt werden müssen. Die Leidtragenden sind am Ende immer die Patienten. Es ist quasi 5 vor 12“, so Monika Pelzer-Faraut.

Um der aktuellen Situation entgegenzuwirken, erlaubt man den Apothekern nun die Medikamente aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union, oder deren Vertragsstaaten, zu ordern. Das Beziehen aus Drittstaaten, beispielsweise der Türkei, wird nur im Rahmen einer Einzelfallgestattung ermöglicht.

„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass unser gutes deutsches Gesundheitssystem an die Wand gefahren wird. Der Preis in die Zukunft ist höher als vielen bewusst ist.“ Da die Gesamtsituation nicht nur ihre Existenz bedroht, sondern für die Patienten lebensgefährlich ist, tritt die Branche daher an die Öffentlichkeit. Am Streiktag, 14. Juni schlossen bundesweit Apotheken, um in Düsseldorf und Berlin für Änderungen zu demonstrieren. Im Focus standen, dass die Arzneimittel wieder in Europa produziert und die Hersteller besser bezahlt werden. Vor allem müssen die Verantwortlichen die Apotheken vor Ort stärken, die Bezahlung der Grundvergütung nach mehr als zehn Jahren an die allgemeinen Inflationsraten angeglichen werden und nicht kürzen. Des Weiteren müssen die Bezahlung der Herstellung von Rezepturen den Aufwendungen angepasst werden, Rabattverträge abschaffen sowie die Bürokratie optimieren werden. „Das hält oft unnötig auf“, so Monika Pelzer-Faraut.

Ein großer Aspekt ist daneben das Verbot des Versandhandels mit Arzneimitteln. „Warum ist so etwas in Frankreich und anderen EU-Ländern möglich und hier nicht“, fragt sich die Chefin der Siegtal-Apotheke. „Erst recht kann ein Online-Unternehmen keine individuelle, kompetente Beratung ersetzen und eine Qualität des Fachpersonals garantieren. Ich dagegen bin in der Lage, beispielsweise dem Patienten von Arzneien abzuraten, die ich nicht gut für ihn halte. Außerdem punkten wir damit, innerhalb von zwei Stunden Medikamente zu besorgen, falls sie lieferbar sind und bringen diese anschließend kostenlos nach Hause.“

Ob der Streik und die Argumente bei den Politikern ankommen, wird sich zeigen – aber die Vorstellung von nur einer Apotheke pro Stadt in der Zukunft, ist ein Szenario, das niemand wirklich haben möchte.

Freie/r Redaktionsmitarbeiter/in:

Dirk Woiciech aus Siegburg

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