Schichtwechsel
Inklusion durch Jobtausch

Zunächst einmal hieß es für den Landrat, Einkaufswagenchips aus Holz schön glatt zu schleifen. | Foto: Bild: Michael Thalken/Eifeler Presse Agentur/epa
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  • Zunächst einmal hieß es für den Landrat, Einkaufswagenchips aus Holz schön glatt zu schleifen.
  • Foto: Bild: Michael Thalken/Eifeler Presse Agentur/epa

„Schichtwechsel“ hieß es am Donnerstag im Kreis Euskirchen. Die Idee dahinter ist mehr als einfach: Einmal im Jahr tauschen Menschen mit Behinderung den Arbeitsplatz mit Menschen ohne Behinderung. Prominentester Schichtwechsler war an diesem Tag Landrat Markus Ramers, der sein Landratsbüro verließ und sich am NE.W-Standort in Zingsheim handwerklich betätigte.

Kreis Euskirchen (lk). Selbstironisch erklärte Landrat Markus Ramers an seinem vorrübergehenden neuen Arbeitsplatz: „Ich muss gestehen, wenn es zu Hause irgendein Möbelstück aufzubauen gilt, dann übernimmt das meistens meine Frau.“

So viel Bescheidenheit war dann aber doch nicht nötig. Zumindest bescheinigten die NEW-Beschäftigten dem Landrat, dass er durchaus Potenzial habe und man in Stoßzeiten gerne wieder auf ihn als Arbeitskraft zurückgreife, zumindest was das Schleifen, Schrauben und Bohren anging.

Und dass der Landrat auch mit dem Bolzenschussgerät umzugehen weiß, hatte er bereits vor ein paar Monaten beim „Eignungstest“ bewiesen.

Erstmalig wurde der Tag als Gemeinschaftsaktion vom Kreis Euskirchen und den NE.W veranstaltet. „Sinn der Aktion ist es zum einen, jedem, der Interesse hat, einen Einblick in die Vielfalt unserer Dienstleistungen zu verschaffen“, erklärte NE.W - Geschäftsführer Georg Richerzhagen.

„Wir wollen den Arbeitgebern im Kreis Euskirchen verdeutlichen, dass Menschen mit Behinderung sehr wertvolle Arbeitskräfte sind“, so Richerzhagen weiter. Denn gerade diese Menschen zeigten sehr häufig eine hohe Motivation und seien besonders loyale Mitarbeiter. Sie könnten auch ein Teil der Lösung des Fachkräftemangels sein.

„Es tut uns allen mal ganz gut, aus der eigenen Blase rauszugehen und was Neues zu machen“, resümierte Landrat Ramers nach der gemeinsamen Frühstückspause mit den Beschäftigten. „Wenn ich mir anschaue, dass Personalmangel auch in unserer Region ein Riesenproblem ist, dann bringen Menschen mit Handicap eine Menge Potenzial mit, um dieses Problem kleiner werden zu lassen.“ Die Leistungsfähigkeit reiche von niederschwellig bis hochprofessionell, beispielsweise mit hohen handwerklichen Fähigkeiten, die auch für Unternehmen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt interessant seien.

Um die Inklusion voranzutreiben, bieten die NE.W ihren Beschäftigten auch Möglichkeiten, in der Öffentlichkeit zu arbeiten. „Wir haben beispielsweise Außenbereiche, die sich zwar noch im Rechtskontext der Werkstatt befinden, in denen die Beschäftigten aber nicht mehr in den Werkstätten arbeiten“, berichtete Georg Richerzhagen. In den von den NE.W betriebenen Cafés, Kantinen, im Supermarkt oder der Heißmangel könnten Menschen mit Behinderung am leichtesten mit Menschen ohne Behinderung in Kontakt treten und so Berührungsängste abbauen.

Während der Landrat im NE.W-Betrieb in Zingsheim beim Saunabau ins Schwitzen geriet, ließ es die NE.W-Beschäftigte Simone Limbach im Kreishaus lockerer angehen. „Das Büro des Landrats gefällt mir sehr gut“, sagte sie. Das Team sei sehr nett gewesen, der Landrat hatte ihr gleich kollegial das Du angeboten und scherzte beim gemeinsamen Abschlussgespräch mit Selfie, dass es sehr selten sei, gleich zwei Kreis Euskirchener Landräte gemeinsam anzutreffen.

An die frische Luft hatte es hingegen Thomas Hänelt verschlagen. Der 60-Jährige arbeitet eigentlich in der Küche in Zingsheim, nutzte den Tag jedoch, um sich einmal im Gartencenter Geschwind in Schleiden umzusehen und dort mit anzupacken. „Die Arbeit ist für mich neu, bringt mir aber eine Menge Spaß“, sagte Hänelt, der mit großem Elan Gestecke etikettierte und sich extra für seine Arbeit Hose und Hemd mit floralen Mustern angezogen hatte.

Tobias Hopmann, Leitender Pfarrer Euskirchen, hatte den Tag im NE.W-Standort Zingsheim begonnen. Dort sortierte er zusammen mit Beschäftigten etwa Kleiderbügel und zeigte sich begeistert. Der Pfarrer sieht Parallelen von Kirche und Nordeifel.Werkstätten: „Bei beiden geht es darum, Menschen nicht unter wirtschaftlichen Aspekten zu sehen, sondern zu gucken, was der einzelne Mensch braucht, was er kann, wie er eingesetzt werden kann.“

In die Schleidener Wäscherei Chokri Grolli durfte Sarah Trab hineinschnuppern. Die Rollstuhlfahrerin freute sich über jeden Kunden, der zur Tür hereinkam. „Ich wollte nur mal einen Tag schauen, was hier so gemacht wird“, sagte die junge Frau.

Einen Tag als Pressefotograf verbrachte Ralf von den Nordeifel.Werkstätten und kam dadurch auch mit dem Landrat in Kontakt, der mit ihm locker etwa über die Arbeit in Parteien plauderte. „Das macht Spaß, das möchte ich öfter machen“, sagte er, stellte viele Fragen zum Arbeitsalltag von Journalisten und interessiert sich nun für die redaktionelle Mitarbeit bei der NE.W-eigenen Zeitschrift ZÜKK.

Alternativ zu einem kompletten Arbeitstag konnte man auch an Betriebsrundgängen an jedem der NE.W-Standorte in Zingsheim, Kall, Kuchenheim und Ülpenich teilnehmen.

„Wir haben insgesamt rund 20 Unternehmen gefunden, die bereit waren, Beschäftigte aufzunehmen“, berichtete Tanja Scheuls, Pädagogische Leiterin der NE.W. Rund 40 Beschäftigte hätten das Angebot angenommen. Zum Gnadenhof in Kronenburg sei gleich ein ganzer Trupp ausgeschwärmt. Hier sei auch ein Betreuer mit vor Ort. Aber auch in der Kantine der Kreissparkasse Euskirchen und im Cafésito, zwei Einrichtungen der NE.W, schauten sich Beschäftigte den Arbeitsalltag ihrer Kolleginnen und Kollegen an.

Zunächst einmal hieß es für den Landrat, Einkaufswagenchips aus Holz schön glatt zu schleifen. | Foto: Bild: Michael Thalken/Eifeler Presse Agentur/epa
Zunächst einmal hieß es für den Landrat, Einkaufswagenchips aus Holz schön glatt zu schleifen. | Foto: Bild: Michael Thalken/Eifeler Presse Agentur/epa
Redakteur/in:

Lars Kindermann aus Rhein-Erft

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