Von Solingen bis an den Hosengürtel
So werden zeitgenössische Gebrauchsmesser designt und gefertigt

Wie entsteht eigentlich ein modernes, industriell gefertigtes Messer? Die Design-Phase ist dabei der langwierigste Part. Hier wird alles gestaltet, was das später täglich tausendfach gebaute Werkzeug ausmacht. | Foto: stock.adobe.com © vzwer
  • Wie entsteht eigentlich ein modernes, industriell gefertigtes Messer? Die Design-Phase ist dabei der langwierigste Part. Hier wird alles gestaltet, was das später täglich tausendfach gebaute Werkzeug ausmacht.
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Millionen von Messern verlassen alljährlich allein die Werkshallen der Solinger Schmieden. Allerdings: Mit Schmiedefeuer, Amboss und handgeführtem Hammer hat das nur in den allerseltensten Fällen noch etwas zu tun.

Jeder hat eines – zumindest in der Küchenschublade. Und bei vielen gehört eines in der klappbaren Variante so sehr zur Kleidung wie das Smartphone, die Unterhose oder der Haustürschlüssel. Messer begleiten den Menschen zwar schon seit seinen Anfängen und gehörten zu den allerersten Produkten, die unsere Vor-Vorväter fertigten, nachdem sie den Umgang mit Metallen gelernt hatten.

Nie zuvor war es jedoch möglich, gleichzeitig so viele, vielfältige und dennoch qualitativ hochwertige Messer herzustellen und zu besitzen. Der Grund dafür liegt in einem zutiefst industrialisierten Herstellungsprozess – der trotzdem noch viel von jener kreativen Leidenschaft beinhaltet, welche die manuell agierenden Schmieden früherer Tage ausmachte.

Mehr als nur der halbe Weg: Die Designphase

Industrielle Herstellung bedeutet übersetzt „viel und schnell“. Doch nicht zuletzt, weil hier alles auf Maschinen und exakten Taktungen basiert, ist diese moderne Messerfertigung nicht sonderlich flexibel.
Das bedeutet, bis der erste Arbeitsschritt getan wurde, ist bereits ein Großteil der wichtigen Arbeit getan – das Designen eines Messers und die Anpassung der Produktion an diese Vorgaben. Doch was beinhaltet das alles?

1. Die generelle Typbestimmung

Im Prinzip teilen sich Messer in lediglich drei Gruppen auf – namentlich Küchen-, allgemeine Gebrauchs- und Kampfmesser. Insbesondere bei der mittleren Gruppe käme noch eine weitere Unterteilung nach feststehenden und beweglichen Klingen hinzu. Doch schon bei Letzteren existiert eine gigantische Vielfalt von Mechanismen und Verriegelungstechniken.

Insgesamt steht deshalb eines fest: Es gibt mehrere Tausend unterschiedliche Messertypen zwischen dem mundartlich so vielfältigen „kleinen Messer“ für die Küche und einem riesigen jagdlich-zeremoniellen Hirschfänger.

Am Anfang des Designprozesses steht deshalb in einem Meeting die Entscheidung für einen bestimmten Typ. Für den weiteren Verlauf dieses Artikels werden wir uns beispielhaft auf ein typisches Gebrauchsmesser mit feststehender Klinge konzentrieren. Was hier zu entscheiden ist, lässt sich so auch auf die allermeisten anderen Messertypen übertragen.

2. Die Klingenform

Es gibt mindestens 20 Hauptformen für eine Messerklinge. Dazu noch Subvarianten und weitere Modifikationen – erneut eine riesige Vielfalt. Zwar ergeht mitunter aus der Typbestimmung schon ein Fokus auf einige wenige Formen. Meist gibt es aber mehrere Möglichkeiten, die zum Ziel führen. Dabei muss eine moderne Messerfirma verschiedene Dinge beachten:

  1. Die optische Wirkung. Gerade bei Gebrauchsmessern hat sie einen hohen Stellenwert.
  2. Die Konkurrenz. Ein neues Messer soll möglichst keinem anderen Produkt ähneln.
  3. Der Nutzungszweck. Viele Klingenformen sind für einen bestimmten Aufgabenbereich besser oder schlechter geeignet.
  4. Das Recht. Speziell bei Messern, die „geführt“ werden sollen (also typischen Gebrauchsmessern) darf in Deutschland die Klinge nicht über 12 cm lang sein und keine Merkmale eines Kampfmessers aufweisen (etwa beidseitig geschärfte Dolchklinge).

Dieser Prozess nimmt meist besonders viel Zeit in Anspruch. Denn es muss nicht nur eine optisch eigenständige Form gestaltet, sondern ebenso eine möglichst ausgewogene Länge und Dicke gefunden werden – „ausgewogen“ im technischen wie optischen Sinn.

Nicht zuletzt müssen die Designer bestimmen, wie der Erl des Messers aussehen soll – das ist der Teil, der in den Griff hineinragt. Denn damit geht nicht nur die Stabilität einher, sondern mitunter ebenso optische Eigenschaften.

3. Der Klingenstahl

Ausnahmen bestätigen die Regel: Bis auf sehr selten genutzte keramische Materialien bestehen sämtliche Messer aus Stahl – also einer Legierung aus mindestens Eisen und höchstens zwei Prozent Kohlenstoff. Bloß gibt es heutzutage ungefähr 2.500 verschiedene Stahlsorten. Aus diesen müssen die Messermacher sich für eine entscheiden. Ein weiterer verzwickter Prozess, denn damit gehen verschiedene Eigenschaften einher, insbesondere:

  • Preis
  • Optik
  • Sämtliche Werkstoffeigenschaften, etwa minimale/maximale Härte
  • Rostverhalten
  • Schnitthaltigkeit
  • Schärfbarkeit

Bei einer industriellen Fertigung spielt der Preis meist eine besondere Rolle. Günstiger Stahl muss nicht unbedingt qualitativ schlecht sein, dennoch bedeutet jedes angepeilte Preisniveau, dass nur eine bestimmte Gruppe von Stählen infrage kommt. Wenn das Gebrauchsmesser mehrere hundert Euro kosten darf, wäre beispielsweise der eher mittelpreisige Edelstahl 440C schon aus Image-Gründen nicht passend – wohingegen er bei einem günstigen Messer luxuriös wirken könnte.

Typischerweise wird in diesem Schritt auch bestimmt, welches Oberflächen-Finish die Klinge haben soll. Schon am Stahl selbst sind verschiedene Möglichkeiten vorhanden; etwa das Strahlen mit verschiedenen Materialien wie Sand oder Glasperlen oder eine Hochglanzpolitur. Alternativ gibt es diverse chemische Oberflächenbehandlungen zwischen Phosphatieren und Lackieren.

4. Die Griffform

Neben der Klingenform ist die des Griffes ein weiterer Faktor, der stark über Optik und Gebrauch entscheidet. Hier ist die Entscheidung jedoch etwas einfacher, weil die menschliche Hand der vorgebende Rahmen ist – bei einem Klappmesser hingegen müsste die Klingenform ebenfalls beachtet werden. In der Praxis müssen deshalb folgende Optionen abgewogen werden:

  • Die Erl-Form
  • Etwaige Fingermulden oder sonstige ergonomische Formen
  • Die Griffform im Querschnitt
  • Optische Zierelemente

Vieles hiervon steht in direkter Verbindung mit einem weiteren Design-Faktor:

5. Das Griffmaterial

Es gibt Messer, bei denen bildet der Erl den gesamten Griff – wahlweise als Vollmaterial oder im Skelett-Design, vielleicht mit Schnüren umwickelt. Deutlich häufiger handelt es sich jedoch um ein separates Bauteil. Genauer: Entweder ein Materialstück, das den gesamten Erl umfasst oder zwei einzelne Griffschalen, die daran seitlich befestigt werden. Hierbei zeigt sich sehr gut, wie sehr Griffform und -material zusammenhängen.

Erneut ist die Auswahl besonders komplex. Sie reicht von tausenden tauglichen Holzsorten über andere Naturmaterialien wie Geweih oder Leder bis hin zu einer enormen Breite von Kunststoffen. Außerdem kommen noch Verbundwerkstoffe wie Micarta oder G10 hinzu. Und nicht zuletzt können Messergriffe noch aus anderen Metallen bestehen.

So kann die Notwendigkeit zu Stabilität bei gleichsam niedrigem Gewicht (wegen der Balance) einen Griff aus Aluminium nötig machen – das Leichtmetall hat eine ganze Reihe derart positiver Eigenschaften. Ein eher traditionelles Messer könnte dagegen vielleicht Messing verwenden; zumindest teilweise und mit Holz kombiniert.

Erneut bestimmen hier die Faktoren Optik, Preis und technische Notwendigkeit, was gemacht wird. Erschwerend kommt hinzu: Ein Griff kann durch Verzierungen durchaus aus mehreren Materialien bestehen.

Die Produktionsphase

In einer modernen Messerfabrik ist das Messer jetzt fertig-designt. Man hat davon höchstwahrscheinlich präzise dreidimensionale Computermodelle gefertigt. Außerdem wurden in einer dazugehörigen Werkstatt vielleicht schon Prototypen manuell angefertigt – sowohl vom ganzen Messer als auch einzelnen Teilen.

Da es sich bei solchen Firmen um vielköpfige Design-Teams handelt, lassen sich auf diese Weise vor allem in Sachen Optik und Haptik strittige Fragen besser beantworten – etwa, welches Griffmaterial mit welcher Oberflächengestaltung besser für die angedachte Verwendung wäre; vor allem hinsichtlich Griffigkeit und Reinigung. Wenn allerdings diese Vorarbeit erledigt ist, geht es überraschend schnell weiter:

  • Die Maschinen werden eingerichtet. Beispielsweise werden entsprechende Gesenke hergestellt, um den Stahl in Form zu pressen. Üblicherweise werden beim Einrichten Nullserien hergestellt, um alle Parameter zu überprüfen.

  • Alle Metalle werden in Form geschmiedet. Typischerweise in besagtem Gesenk. Falls der Messerhersteller den Stahl in Form von bereits ausgeschmiedeten Tafeln oder Coils bezieht, entfällt dieser Schritt.
  • Die Klinge samt Erl wird aus dem Metall ausgestanzt. Dadurch ist in einem Arbeitsschritt bereits die Grundform vollständig vorhanden.
  • Die Klinge wird dreidimensional bearbeitet. Dabei erhält sie beispielsweise eine Verjüngung in Richtung der Schneide oder Löcher zur Aufnahme der Griffschalen. Ebenfalls werden jetzt Markierungen wie Stahl- oder Herstellerinformationen eingestanzt oder graviert.

  • Die Klinge durchläuft die Schritte der Wärmebehandlung . Sie wird also zum Glühen gebracht, durch Abschrecken gehärtet und anschließend durch erneutes Erwärmen auf ihren endgültigen Härtegrad eingestellt.

  • Die Klinge erhält ihre abschließende Optik durch die gewählte Behandlung. Zumindest wird (so nicht aus optischen Gründen gewünscht) der bei der Wärmebehandlung entstandene „Zunder“ entfernt.
  • Der Griff wird aus dem Rohmaterial hergestellt. Insbesondere bei Vollkunststoffgriffen kann er alternativ regelrecht um den Erl „herumgebacken“ werden.
  • Klinge und Griff erhalten abschließende Feinarbeiten, damit sie vollständig zueinander passen und die gewünschte Oberflächengüte besitzen. Das kann auch Versiegelungen beinhalten.
  • Die Klinge wird abschließend geschärft. Selbst wenn die vorherigen Schritte zutiefst maschinell und vielfach vollautomatisiert ablaufen, so handelt es sich – zumindest bei Qualitätsmessern – hierbei meist um einen Arbeitsgang, der immer noch von Hand durchgeführt wird.

Tatsächlich können all diese neun Schritte in der Praxis innerhalb kürzester Zeit ablaufen – lediglich die Wärmebehandlung benötigt festgelegte Zeiträume. Auf diese Weise können pro Tag hunderte, sogar tausende hochwertige, absolut identisch aussehende Messer das Werk verlassen.

In unserem Fall wäre das vielleicht eine typische Drop-Point-Klinge, aus 440C, die vom Griff bis zur Spitze knapp zwölf Zentimeter misst. Die Oberfläche wäre matt gestrahlt. Der Erl wäre ein Flach-Erl, der von zwei Griffschalen aus G10-GFK umfasst wird, die mit farblich passenden Schrauben verbunden sind – und eine absichtlich raue Oberfläche haben.

Dieses Messer wäre ebenso ein wunderbarer Begleiter für den Jäger wie den Wanderer, Hobbygärtner oder Handwerker. Und jeder Besitzer dürfte sich sicher sein: Dank industrieller Perfektion ist dieses Messer mit etwas Sorgfalt für mehrere Menschenleben gut.

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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