Schließung der „Sprechdachse“
Zukunft der Kinder steht auf dem Spiel
Brückberg - „Sprache ist der Schlüssel zur Kommunikation. Um dieses Konzept
dreht sich alles bei den Sprechdachsen.“ Der Menschenauflauf vor den
Türen des Sprachheilkindergartens in der Arndtstraße bewies, dass es
sich bei dem Anliegen nicht um eine Lappalie handelt. Eltern mit ihren
Sprösslingen und Therapeuten kamen zusammen, um sich gegen eine
geplante Schließung der „Sprechdachse“ zu wehren.
Nachdem bekannt wurde, dass die Einrichtung keine weiteren Kinder mehr
aufnehmen soll, gründete man eine Elterninitiative, die für den
Erhalt kämpft. Wenn bis 2018 fast der ganze Nachwuchs in eine
Grundschule übergewechselt ist, gibt es keinen Grund mehr, die
Institution für die Verbliebenen weiter zu betreiben. Zurzeit
bestehen zwei Gruppen mit 21 Plätzen, doch die Warteliste ist nach
wie vor lang, und die Klientel wird in Zukunft auch nicht abnehmen.
Sprachbehinderten Kindern eine Chance bieten
Bereits 1979 hatte der Kreis die Gründung des Sonderkindergartens in
ihrer Trägerschaft beschlossen, um sprachbehinderten Kindern die
Chance zu bieten, durch intensive Sprachförderung, im Vorschulalter,
die Aufnahme in eine Regelschule zu ermöglichen. Doch im Zuge der
„Inklusion“ sieht der Landschaftsverband Rheinland (LVR), der als
überörtlicher Träger der Sozialhilfe für die Leistungen zuständig
ist, und 70 Prozent der Aufwendungen finanziert, auf Dauer keinen
Bedarf mehr, schließlich gäbe es eine ausreichende Zahl an
integrativen beziehungsweise inklusiven Kindergartenplätzen in der
Region. Die Elterninitiative hält diese Einstellung schlichtweg für
„fachlich falsch“, da die Regelkindergärten gar nicht die
Kapazitäten besitzen, die Betroffenen zu fördern.
Diese entstammen zum großen Teil aus den inklusiven Einrichtungen,
weil sie da nicht zurechtkommen und die Erzieher mit den Jüngsten
überfordert sind. Nach dem Besuch der Brückberger Institution
können sie dann oft mühelos in die Regelschule wechseln. „Der
Sprachheilkindergarten ist eine Voraussetzung für Inklusion an der
Schule“, weiß Sabine Nelles. Die Mutter engagiert sich hier
ausdrücklich, da ihr Sohn durch die Zeit bei den Sprechdachsen in der
Lage ist, einen normalen Schulalltag zu bewältigen. „Er ist
geradezu aufgeblüht, weil er nicht mehr der Sonderling ist, sondern
einer unter vielen mit gleichen Problemen.“
„Inklusion ist eine Sparmaßnahme"
Die Vermutung liege nahe, dass überall Sondereinrichtungen heimlich
geschlossen würden. „Inklusion ist eine Sparmaßnahme, wie sie
momentan läuft. Die Kinder bekommen so nicht die Unterstützung, die
sie brauchen. Außerdem ist Sprachförderung, die flächendeckend aus
den Kindergärten herausgenommen wurde, auch nicht gleich
Sprachtherapie“, erklärte Annette Meilhammer-Liese. Die Physio- und
Bobatherapeutin ist schon seit 15 Jahren bei den Sprechdachsen. Denn
in Siegburg geht es nicht nur um Sprache, vielmehr auch um weitere
Bereiche, wie das Hören und die damit verbundene Wahrnehmung, was
sich ferner auf die Motorik auswirke.
Doch im Zuge der Inklusion wurden bereits im letzten Jahr die Mittel
des LVR für Therapeuten gestrichen. Nun darf nur noch auf Rezept
behandelt werden. „Wo wir früher zwei Stunden Zeit für die Kinder
hatten, bleibt heute nur noch eine halbe“, äußerte
Meilhammer-Liese und zeigt so einen großen Missstand auf. Die vormals
gut funktionierende Therapie fange man nun mit externen Kräften nicht
mehr auf. Das macht ein Sprachheilkindergarten wie in der Kreisstadt,
mit zwei fest angestellten Logopäden, noch wertvoller, besonders wenn
in der ganzen Region nichts Vergleichbares zu finden ist. „Falls nun
diese frühe Förderung scheitert und abgeschafft wird, ergibt das
eine riesige Rückkopplung, die sich später im Erwachsenenalter ins
Negative wandeln kann und wird“, fügt Tamara König-Degener hinzu.
Die Lohmarerin hat ebenfalls eine Tochter, die sich durch die
Sprechdachse positiv entwickeln konnte. „Diese
verhaltensauffälligen jungen Menschen werden entweder sozial schwach
und ständig auf fremde Hilfe angewiesen sein, beziehungsgestört und
verhaltensgestört sein, oder bilden sich gar aus Verzweiflung öfters
als Gleichaltrige zu sozialen Außenseitern und Straftätern. Oftmals
finden diese Menschen nur eine Beschäftigung in
Behindertenwerkstätten. Ob das wirklich alles sinnvolle Inklusion
ist, bleibt ein Rätsel.“
Auch Bürgermeister Franz Huhn stellt sich hinter die Belange der
Eltern: „Wenn solch eine spezielle Förderung die richtige ist,
müssen die Eltern auch die Chance haben, ihre Kinder in solch eine
Institution zu schicken. Außerdem kann es nicht sein, dass wir einer
der reichsten Industrienationen sind und dann bei den Schwächsten
sparen.“ Der Rhein-Sieg-Kreis stellt heraus, dass der
Sprachheilkindergarten eine Einrichtung der Eingliederungshilfe nach
dem Sozialgesetzbuch XII sei und nicht der Jugendhilfe. Es bestehe
keine rechtliche Verpflichtung, einen Kindergarten für Kinder mit
Förderbedarf zu betreiben.
Der LVR hatte im Januar ferner einen umfassenden Erhebungsbogen
bezüglich der Strukturdaten des Kindergartens an den Kreis
übersandt, der bis Ende März ausgefüllt werden soll. In der Sitzung
am Dienstag, 14. März, will die Verwaltung den Ausschuss für
Inklusion und Gesundheit über die bisherigen Überlegungen und den
Sachstand informieren. „Wenn der LVR die Finanzierung weiterhin
aufrechterhält, wird der Kreis die Sprechdachse auch fortan
unterhalten“, prophezeit Bürgermeister Huhn. Doch darauf möchte
sich die Elterninitiative nicht verlassen, sondern kämpft weiter.
- Dirk Woiciech
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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