Das etwas andere Schlosskonzert
Säulenmusik

Die Säule - schön, aber undurchsichtig
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Schuld ist nur das Feuerwerk, sonst wäre ich wohl nicht hingegangen. Gut, ein bisschen Musik vorher kann ja nicht schaden. Aber wer denkt denn schon an sowas mitten im Sommer bei über 30 Grad.

Ich höre gerne Musik aller Art, und das Schloss im Nachbarort Brühl ist bekannt für seine exzellenten Konzerte im historischen Treppenhaus. Richtig, Treppenhaus. Das, was von Balthasar Neumann gebaut wurde, der seinen Namen von dem gleichnamigen Platz mitten in Brühl hat. Das Prinzip ist ganz einfach: das Orchester kommt auf den Treppenabsatz, und unten, wo früher die Durchfahrt für die Kutschen war, stellt man Stühle auf. Der Rest kommt von allein.

Nun kann ich nicht sagen, dass ich bei der Hitze in passender Stimmung für klassische Musik bin. Eher hoffe ich darauf, dass es schnell geht, damit das zum späteren Feuerwerk angebotene kühle Kölsch nicht warm wird. Trotzdem ist die Stimmung gut. Dann finden wir unsere Plätze. Dreimaliges Nachzählen hilft nicht: wir sitzen genau vor einer Doppelsäule. Ein herrlicher Anblick fürwahr, aber das Orchester hätte ich eigentlich auch ganz gerne zu sehen bekommen. Meine erheblich bessere Hälfte beruhigt mich: man könne überall im Raum gleich gut hören. Immerhin ist links von uns eine Glastür, so dass ich ins Grüne schauen kann.

Der Blick ins Programmheft löst Entsetzen aus. Das war wohl nichts mit einer kleinen Nachtmusik vor dem Feuerwerk, nein, hier wird ein Haydnspektakel aufgeführt! Drei Stunden fette Oper mit allem Drum und Dran. Haydns Entführung nennt sich das Ganze. Ergeben betrachte ich mangels Ausblick auf das Orchester die Säule. Die Hitze im Raum ist erdrückend.

Applaus brandet auf. Wahrscheinlich sind nun Musiker und Sänger im Treppenhaus erschienen. Sehen kann ich sie nicht, aber nach dem glücklichen Gesichtsausdruck der Dame vier Plätze rechts neben mir zu urteilen müssen sie gut aussehen. Es geht los, während sich links die Sonne in den Türausschnitt schiebt und einen tastenden Hitzestrahl in unsere Richtung schickt.

Verschämt schlängelt sich die Akustik erst rechts, dann links um die Säule herum. Die Säule selbst hat unzweifelhaft den besten Platz im ganzen Saal. Aber bei mir kommt auch noch Einiges an. Es geht um Derwische, Trinken und Betrügen, glaube ich. Ich kenne die Oper nicht, leider. Haydn ist eher nicht so mein Fall, und je länger ich in die Oper hineinhöre, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass der heutige Abend daran nichts ändern wird.

Der Lichtstrahl von der Seite ist doch recht störend. Mittlerweile hat die Sonne die Glastür erreicht, und der sehr intensive Sonnenstrahl zeigt genau auf mich, wobei meine erheblich bessere Hälfte rechts neben mir auch noch genug abbekommt. Ich hätte dieses Jackett nicht anziehen sollen. In sanften Triolen bahnt sich ein zarter Schweißtropfen seinen Weg von meinem Ohr nach unten. Kein Problem, das halte ich aus.
Der Bass hört sich gerade sehr wohlgenährt an, fast so wie der Abt in den Carmina Burana, wo auch nur getrunken und gesungen wird. Ein Blick in den Text bestätigt das:
„Ach, ach, meine Herren, es gibt nichts mehr.
Ihr würdet trinken, bis ihr Geist und Verstand verliert.“

Da mein linkes Ohr langsam Grilltemperatur angenommen hat, habe ich volles Verständnis für den Wunsch nach einem kühlen Glas Wein. Das Oberhemd ist linksseitig schon durchgeschwitzt, aber unter dem Jackett sieht man ja nichts. So wie ich auch nichts von den Künstlern sehe, die sich geschickt hinter der Säule versteckt halten.

Calandro heißt der Wohlgenährte. Ob er wohl einen zum Gesang passenden Bauch hat? Ich werde es wohl nie erfahren. Ab und zu singt auch eine Frau. Oder mehrere. Die Säule mit ihrem Kapitell erinnert mich an ein Eis, dass ich als Kind oft genossen habe. Das wäre jetzt passend, wenn auch nur für mein linkes Ohr.

Die Entführung kommt irgendwie nicht so recht voran. Das geht ständig hin und her und nichts passiert. Nun nehmt das Mädel doch endlich und fertig. Ich will doch nur zum Feuerwerk. Erstaunlich, wie viel Flüssigkeit man in so kurzer Zeit verlieren kann, bloß wegen so einem blöden Sonnenstrahl.

Der Mozart war ja auch so ein Komponist. Das war ja der Paul McCartney des 18. Jahrhunderts. Er hat alles Mögliche geschrieben, auch eine Oper über eine Entführung. Bei ihm hieß das „Die Entführung mit dem Seil“, glaube ich. Da wurde nicht lang gefackelt, das ging wie bei Kara Ben Nemsi: am Seil hochgeklettert, Frau geraubt, über die Mauer und fertig. Warum dauert das bei Haydn so lange? Meine Gedanken kollidieren mit einem lang gehaltenen Ton einer Altstimme, der geschickt am Treppengeländer bis zu uns heruntergerutscht ist. Hoffentlich gibt das keine Pfütze unter meinem Stuhl, so wie ich hier schwitze. Die Sonne könnte wirklich etwas schneller vorbeiziehen.

Aber so ist die Kunst: wer Schönes hören will, muss leiden, oder wie man das so sagt. Wie soll man sich bei diesen Temperaturen auf Derwische und hochkomplexe Texte wie diesen hier konzentrieren:
„Kobold, Dreier, Frauenzimmer
Dingeling, mit Mann und Maus.
Lirum, larum, schmatz und schmaus.“

Welch sinnige Botschaft sich wohl hinter diesem Text und meiner Lieblingssäule verbergen mag? Die Sonne macht sich einen Spaß daraus, genau vor der Glastür zu verharren. Die Dame links neben mir schaut auch etwas irritiert. Ob ich vielleicht nach Schweiß rieche? Kann eigentlich nicht sein, ich habe doch noch geduscht, wann war das gleich nochmal… Vorsichtig rieche ich in Richtung meiner linken Achselhöhle, aber es ist alles in Ordnung. Jetzt schaut sie noch irritierter. Ich blättere höchst engagiert im Programmheft.

In der Pause gebe ich auf. Meine linke Seite ist medium durch, die recht zumindest englisch angebraten. Mit bedauerndem Blick auf meine Frau, die sich dieses Martyrium noch weiter antun will, setze ich mich vor dem Konzerttreppenhaus auf eine Bank im Freien. Luft, Schatten, ein Glas Wasser (Bier gibt es noch nicht), was will ich mehr? Und zu allem Überfluss höre ich hier draußen genauso viel wie drinnen auch. Mal regt sich ein Mann beim Singen auf, mal eine Frau. Und weniger sehen tu ich auch nicht.

Oh, du Wohltat des Abends, jetzt fehlt nur noch das Feuerwerk. Wenn denn da die Mückenbataillone nicht wären, die sich gerade auf ihren Einsatz beim Feuerwerk vorbereiten und in mir ein höchst brauchbares Übungsobjekt finden. Na ja, man kann nicht alles haben.

Es scheint, als ob auf dem Treppenabsatz geheiratet wird, und Calandro wird verbannt, der arme Kerl. Wunderbar, dann hätten wir das auch geschafft. Es geht doch nichts über einen angemessenen musischen Genuss. Man ist ja schließlich zivilisiert. Aber der Ärger über diesen impertinenten Sonnenstrahl hat mich händelsüchtig gemacht. Da kommt die Wassermusik zum splendiden Feuerwerk gerade recht.

Nächstes Jahr gehe ich zum Männergesangsverein. Da gibt es immer ein kühles Kölsch. Und vielleicht auch einmal ein Feuerwerk.

Die Säule - schön, aber undurchsichtig
Sonne von links - ein Königreich für eine Sonnenblende
LeserReporter/in:

Dieter Weidenbrück aus Wesseling

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