Menschen wie du und ich
Auf den letzten Spuren jüdischer Oberberger

- Wolfgang Birkholz konnte die wissenschaftliche Mitarbeiterin für jüdische Geschichte des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, Birte Klarzyk, für den Vortragsabend gewinnen.
- Foto: Gunter Hübner
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Oberberg - (gh) Nachbarn, Arbeitskollegen, Vereinskameraden, ja Freunde
denunzierten sie.
In Nacht- und Nebelaktionen wurden sie dann von willigen Helfern der
Nazischergen, die die wahnwitzigen Befehle der braunen Machthaber
befolgten, zusammengetrieben; zumeist mit dem Ziel:
Konzentrationslager.
In ganz Deutschland, später auch in den besetzten Gebieten, herrschte
nach der Machtübernahme der Nazis in den 1930er Jahren eine
Atmosphäre der latenten, oftmals greifbaren Angst, der sich vor allem
jüdische Mitbürger hilflos ausgesetzt sahen; auch im Oberbergischen.
Schutz in großen Städten gesucht
Manche von ihnen versuchten dem ländlichen Raum zu entfliehen und
zogen in größere Städte, erschienen ihnen diese doch durch ihre
Anonymität sicherer vor der Gefahr, in der sie sich jede Stunde des
Tages befanden. Es war ein Irrglaube, wie sich bald herausstellen
sollte.
Diese unsägliche Situation, aber auch die mangelnde Solidarität der
Mitmenschen, schilderte eindringlich Birte Klarzyk in ihrem unter die
Haut gehenden Vortrag unter dem Titel „Köln: letzte Zwischenstation
vor der Vernichtung - Auf den Spuren jüdischer Oberberger“ in der
Halle 32 (Gummersbacher Steinmüller-Gelände).
Die wissenschaftliche Mitarbeiterin für jüdische Geschichte des
NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln war vom Vorsitzenden der
Oberbergischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit,
Wolfgang Birkholz, und dem Katholischen Bildungswerk als
Gastreferentin eingeladen worden, zumal sie zurzeit über diese
sprachlos machende Thematik promoviert.
Schicksale oberbergischer Familien
Anhand von erhaltenen Dokumenten, Bildern und Briefen nahm sie so am
tragischen Beispiel mehrerer oberbergischer Familien, die bisher wie
„du und ich“ in der buckligen Welt ihren Lebensmittelpunkt hatten,
eine ergreifende Rückblende auf das perfide Geschehen, das Juden aus
allen Schichten traf.
Wurden sie zunächst durch Gesetze und Erlasse mehr und mehr aus dem
gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt, im sozialen Miteinander
drangsaliert und offen gebrandmarkt, wie durch den sichtbar zu
tragenden „Judenstern“, erläuterte Birte Klarzyk exemplarisch die
Situation von Familien, die in der nahen Domstadt Zuflucht gesucht
hatten. Auch sie wurden nach und nach aufgespürt.
Wer nicht ins Ausland fliehen konnte, sah sich bald nicht nur
unmenschlichen Schikanen ausgesetzt, sondern ebenso in seinem
häuslichen Umfeld bis zur Unerträglichkeit eingeengt.
So wurden von den Nazis auch in Köln sogenannte „Sperrbezirke“
eingerichtet, jüdische Familien in „Gettohäusern“
zusammengepfercht.
Die perfide Schraube immer enger angezogen. Sie gipfelte in der
Einrichtung eines Deportationslagers in Köln-Müngersdorf.
Auf engstem Raum waren in einer dort noch dem Ersten Weltkrieg
existierenden Kaserne, plus aus dem Boden gestampften Baracken,
Tausende Menschen der jüdischen Gemeinde eingepfercht und abseits der
Stadt isoliert.
Zwangsarbeit
Die Treibjagd endete aber nicht mit dieser Ausgrenzung, sondern wurde
durch befohlene Zwangsarbeit, noch auf die Spitze des Unsäglichen
getrieben. Wie die dort unter widrigsten Bedingungen Vegitierenden
ihre Situation erlebten, schilderte Birte Klarzyk aus Briefen, die die
„Insassen“ an Bekannte oder verbliebene Freunde schickten.
Aus ihnen spricht bis heute das nackte Entsetzen über die Situation
und das ungewisse Schicksal, das aber mit all seinem Grauen nicht
lange auf sich warten ließ. Nach und nach wurden die Juden in Gettos
wie Litzmannstadt oder direkt in Konzentrationslager, wo der Tod schon
wartete, verbracht.
„Um 7.30 Uhr geht der Zug“, schrieb einer der Betroffenen. Dort
endeten die Leben der Familien Leo Leeser und Albert Elias und vieler
anderer mehr, die einmal ihre Heimat im Oberbergischen Land gefunden
hatten.
So konnte der damalige Bürgermeister von Nümbrecht im Herbst 1942
schriftlich an den Kreis melden „Alle Juden sind evakuiert“ und
das amtliche Schreiben mit der Notiz versehen „zu den Akten“.
„Das sind nur einige von Millionen menschlicher Schicksale, die ich
ihnen heute schildern konnte“, so Birte Klarzyk zum Abschluss ihres
Referates, dem ihre Zuhörer ergriffen folgten, „aber Schicksale,
die wir nicht vergessen dürfen“.
Dem schloss sich bei seinem Dank an Birte Klarzyk auch Wolfgang
Birkholz an. Er schloss den Abend mit einem Appell an Oberbergs
Städte und Gemeinden: „Leider harrt die Geschichte der
Judenverfolgung in unserer Region noch immer auf ihre geschichtliche
Aufarbeitung. Sie wäre dringend notwendig. Gerade heute“.
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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