"Jude" ist wieder zum Schimpfwort geworden
Antisemitismus-Beauftragte spricht in Wiehl

- Die nordrhein-westfälische Antisemitismus-Beauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (M.), umrahmt von Gastgeber Wolfgang Birkholz und ihrer Parteifreundin Ina Albowitz-Freytag, will nicht nur Zeichen wider dem Antisemitismus setzten.
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Oberberg - Es wäre schön, wenn es solcher Abende nicht bräuchte.
Wolfgang Birkholz nannte es „eine Skandal, dass wir zu diesem Thema
einladen. Die Aktualität sieht allerdings anders aus“. So widmete
sich die Veranstaltung, zu der Wolfgang Birkholz als Vorsitzender der
Oberbergischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit
und das Katholische Bildungswerk Oberberg in das Wiehler Forum der
Volksbank Oberberg eingeladen hatten, der Frage „Antisemitismus in
Nordrhein-Westfalen - Grund zur Besorgnis?“.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger beantwortete sie mit einem klaren
„Ja“. Die ehemalige Bundesjustizministerin wurde im Herbst
vergangenen Jahres vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten
Armin Laschet zur Antisemitismus-Beauftragen bestellt. Sie konnte nun
von der Gesellschaft und dem Bildungswerk als Gastreferentin gewonnen
werden.
Vor den zahlreichen Gästen, unter ihnen Vize-Landrat Professor Dr.
Friedrich Wilke, der Superintendent des evangelischen Kirchenkreis an
der Agger, Jürgen Knabe, und die Ehrenvorsitzende der FDP Oberberg,
Ina Albowitz-Freytag, die den Besuch vermittelte, sprach
Leutheusser-Schnarrenberger über ihre Aufgaben und Ziele in dieser
Mission, denn der latente Antisemitismus gewinnt wieder sichtbar an
Raum. Nicht nur an Stammtischen, oder in Hinterzimmern, sondern auf
den Straßen Deutschlands. Er richtet sich gegen Mitmenschen, die dem
jüdischen Glauben angehören und sich jetzt erneut physischer und
psychischer Bedrohung und Gewalt ausgesetzt sehen.
Im vergangenen Jahr gab es bundesweit rund 1.800, in NRW 350
Straftaten mit antisemitischem Hintergrund. Tendenz steigend.
Dunkelziffer unbekannt.
Angriff auf die demokratische Gesellschaft
„Dies ist ein Angriff auf unser Grundgesetz, auf unsere
demokratische Gesellschaft, in der Religionsfreiheit Jedermann
garantiert ist und ein Fundament unsere demokratischen Ordnung
darstellt“, so Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Nach einer aktuellen Umfrage haben 29 Prozent der jüdischen
Mitbürger bereits Übergriffe erleben müssen. 44 Prozent von ihnen
denken zumindest über eine Emigration nach, denn Synagogen und
jüdische Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen müssen unter
Polizeischutz gestellt werden.
Personenschutz für Jüdisch-Gläubige, die in der Öffentlichkeit
stehen, sind keine Seltenheit mehr. Sie müssen zum Nachdenken, zu
mehr Aufmerksamkeit aufrufen. Die freie Religionsausübung ist ein
fundamentales Freiheitsrecht in unserm Land und die Väter unserer
Grundgesetzes haben es im Artikel vier festgeschrieben, erläuterte
die Landesbeauftragte. Wer sie in Frage stellt oder angreift, greift
uns alle an, war ihre Meinung.
Prävention beginnt in den Schulen
Daher sehe sie ihre Aufgabe darin, das lebendige jüdische Leben im
Land zu wahren und zu schützen. Dies durch zahlreiche
Präventionsmaßnahmen, die bereits in den Schulen beginnen und alle
Bereiche wie Geschichte, Kultur und soziales Umfeld beleuchten
müssen. Beschimpfungen, Pöbeleien, Androhung von Gewalt, Gewalt
müsse ein deutlicher Riegel vorgeschoben werden. „Es geht hier
nicht um Taschendiebstahl, der schon schlimm genug ist. Es geht hier
um Menschen“, so Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Daher rief sie
dazu auf, hinter die Kulissen zu schauen, denn wenn Juden Angst haben,
sich mit einer Kippa in der Öffentlichkeit zu zeigen, sei es
allerhöchste Zeit, Zivilcourage in Wort und Tat einzufordern.
Daher verstehe sie sich auch als Ansprechpartnerin, um Vorurteilen und
Unkenntnis vorzubeugen, denn die seien nicht an soziale Klassen
gebunden, wie vielleicht gedacht wird. So ist in NRW auch eine
Meldestelle in Planung und Netzwerke werden aufgebaut. Dies über den
christlich, muslimischen und jüdischenTellerrand hinaus.
„Wir wollen und müssen gemeinsam konkret werden“, hielt die
Antisemitismus-Beauftragte nach ihrem gut einstündigen Referat unter
dem Beifall der Gäste fest. „Wir müssen nicht die Gesetzte
ändern, sondern unser Denken“.
- Gunter Hübner
Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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