Podiumsveranstaltung im Kapitelsaal
„Solidarität mit der jüdischen Gemeinde fehlt“

- Im Kapitelsaal des Brühler Rathauses diskutierten Sylvia Löhrmann, Beauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen für die Bekämpfung des Antisemitismus, für jüdisches Leben und Erinnerungskultur, Abraham Lehrer, Vorstand der Kölner Synagogengemeinde sowie Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Werner Höbsch aus Brühl, über Jahrzehnte engagiert in der örtlichen Erinnerungskultur.
- Foto: Karin Tieke
Brühl (rmm). Im Kapitelsaal des Rathauses fand ein prominent besetztes Podium zur Frage der Erfordernisse heutiger Erinnerungskultur statt. Auf dem Podium waren Sylvia Löhrmann, Beauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen für die Bekämpfung des Antisemitismus, für jüdisches Leben und Erinnerungskultur und Abraham Lehrer, Vorstand der Kölner Synagogengemeinde sowie Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Aus Brühl nahm Werner Höbsch teil, über Jahrzehnte engagiert in der örtlichen Erinnerungskultur.
Etwa 50 Gäste aus zivilgesellschaftlichen Initiativen, aus Kirchen und aller im Rat vertretenen Fraktionen nahmen teil. „Seit mehr als 65 Jahren ist in Brühl eine Erinnerungskultur gewachsen und fest verankert“, so Bürgermeister Dieter Freytag in seiner Begrüßung.
Ungenügendes Wissen über den Holocaust
Bereits 1958, zum 20. Jahrestag der Reichspogromnacht von 1938, sprach Heinrich Böll in der Schlossstadt zu Fragen nach der Schuld und Verantwortung der Deutschen an den Verbrechen der Nazis. Es waren Persönlichkeiten wie Caspar Markard und es sind zivilgesellschaftliche Initiativen wie pax christi sowie die Brühler Initiative für Völkerverständigung, die eine Erinnerungskultur in Brühl fördern.
Auf die Frage, was sich in den vergangenen Jahren in der Erinnerungskultur verändert habe sagte Sylvia Löhrmann, die Kontexte hätten sich verändert, ein Desinteresse und eine Gleichgültigkeit an der Shoa seien verbreitet: “Besonders unter jungen Menschen hat das Wissen über den Holocaust abgenommen.“ Und: „Die Zeitzeugen sind weniger geworden. Wir sind heute weitgehend auf „Zweitzeugen“ angewiesen.“
Erinnerungskultur in Brühl
Abraham Lehrer stellte die Frage: „Ist unsere Erinnerungskultur angesichts des zunehmenden Antisemitismus und des Rechtsrucks in der Gesellschaft gescheitert?“. Ihn erschrecke, dass die Übergriffe auf Juden sich erheblich vermehrt haben und dass in einer Umfrage mehr als 10 Prozent der Aussage ganz oder teilweise zustimmen „Juden rechtfertigen Gewalt gegen Kinder sowie den Ritualmord“ würden.
Diese und andere Lügen würden über das Internet verbreitet und fänden bei Teilen der Bevölkerung Zustimmung. „Dem Begriff Erinnerung haftet etwas Statisches an, Erinnern stellt eine Aktivität dar. Ohne Personen und Initiativen, die sich engagieren, bewegt sich nichts. Die Zivilgesellschaft ist weiterhin gefordert, Erinnerung wachzuhalten und Verantwortung zu übernehmen“, so Werner Höbsch.
Die Erinnerungskultur in Brühl beschränkt sich nicht auf den jährlichen Schweigegang, bei dem der 65 ermordeten Brühler Jüdinnen und Juden gedacht wird, sondern auch auf Orte wie die „Gedenkstätte An der Synagoge“ und dem „Schwestern-Brünell-Weg“.
Aus Erinnern erwächst Verantwortung, Die Erinnerung an vergangenes Leiden ist nur zu verantworten, wenn sie zur Wachsamkeit für aktuelle Bedrohungen und für gegenwärtiges Leiden anleitet. Dazu gehört der Einsatz für die Würde jedes Menschen und konkret, jeder Form des Antisemitismus als Hass auf Juden und Jüdisches entgegenzutreten.
2400 Veranstaltungen zum Judentum im Jubiläumsjahr
Auf positive Erfahrungen verwiesen Löhrmann und Lehrer. Im Jubiläumsjahr 2021 „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ gab es über 2.400 Veranstaltungen zum Judentum und jüdischem Leben in Deutschland.
Einig war sich das Podium, dass die Erinnerungskultur auch zukünftig einen wichtigen Raum in der Gesellschaft und Politik einnehmen müsse. Angesichts des zunehmenden Antisemitismus und der wachsenden Verrohung in der Gesellschaft müsse man weiterhin Wege der Erinnerungskultur beschreiten und auch nach neuen Ausdrucksweisen suchen. Sylvia Löhrmann betonte die bleibend hohe Bedeutung der Bildung, auch der Lehrkräftebildung sowie der Begegnung mit Jüdinnen und Juden. Auf die Frage, was sich die jüdische Gemeinschaft als Ausdruck einer tätigen Erinnerungskultur wünsche, antwortete Abraham Lehrer: „Wir wünschen uns in dieser bedrückenden Zeit als jüdische Gemeinschaft Zeichen der Solidarität. Diese fehlen.“
Redakteur/in:Montserrat Manke |
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