Nach der WM-Misere
Nachwuchsförderung braucht mehr Geld

Mete Balbasi (links) und Nico Beck  betreiben in Hürth eine Fußballschule.  | Foto: Achim Hannott
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  • Mete Balbasi (links) und Nico Beck betreiben in Hürth eine Fußballschule.
  • Foto: Achim Hannott

Nach dem Ausscheiden der Fußball-Nationalmannschaft bei der WM in Katar gab es viel Kritik an der Nachwuchsförderung in Deutschland. Dabei gibt es unzählige Kinder, die den Traum vom Fußballprofi träumen und mit Unterstützung ihrer Familien viel dafür investieren: vor allen Dingen Zeit und Leidenschaft. Wo liegen also die Probleme?

Hürth (red). Nico Beck (28) und Mete Balbasi (25) betreiben in Hürth eine Fußballschule und für sie ist völlig klar, dass man bereits im Alter von vier bis sechs Jahren sehen kann, welches Kind ein besonderes Bewegungstalent hat: die Voraussetzung für jede erfolgreiche sportartübergreifende Karriere. Bewegungstalent – das sei der Schlüssel für jeden guten Fußballer. „Neben der Veranlagung kommt dann über Jahre viel Arbeit, Disziplin, Ehrgeiz, Glück und Biss hinzu – und dann muss man auch noch verletzungsfrei bleiben“, so Beck. Für Balbasi sind die Eltern ein weiterer, entscheidender Schlüssel: „Ich kenne kein Kind, dass es ohne die Unterstützung der Eltern geschafft hat.“

Die Nachwuchsleistungszentren (NLZ) des DFB und der Spitzenvereine in Deutschland erkennen und fördern regional besonders talentierte Spieler. Sinnvoll fänden Beck und Balbasi allerdings, wenn man die Arbeit in den NLZs noch individueller gestalten würde. Individuelle Einheiten gebe es bisher vor allen Dingen bei den Torhütern. „Wenn wir bemängeln, dass wir zum Beispiel keine echten Stürmer mehr haben, dann kann man mit Sicherheit mehr rausholen, wenn man die einzelnen Positionen stärker fördert“, so Balabsi. Doch dafür benötigt man mehr Geld. Geld, das für Beck vorhanden ist: „Hier mal vielleicht ein halbe Million weniger für ein Spielergehalt und dieses Geld dann in ein NLZ gesteckt, wäre schon sinnvoll und erfolgversprechend.“ Er empfindet die Etats der einzelnen NLZs als zu gering. Sein Ansatz: mehr Geld und damit mehr Personal in die Jugendförderung stecken, dann geht es auch mit den Talenten in Deutschland wieder bergauf.

„Ich sehe ihn nix anderes tun, nur Fußball, Fußball, Fußball“, sagt die 18-jährige Chiara liebevoll über ihren Bruder Marlon (11) und fügt an: „Ich wache morgens auf, will ins Bad und mein Bruder dribbelt schon mit einem Ball im Flur rum.“ Kein Wunder also, dass Marlon mit großer Ernsthaftigkeit und keinerlei Zweifel in der Stimme oder im Blick die Frage, was er mal werden will, mit der klaren Ansage „Fußballprofi“ beantwortet. Dieses Ziel verfolgt er seit dem er vier oder fünf Jahre alt ist und sein Vater Oliver sagt dazu: „Ich traue ihm zu, dass er das wirklich schafft, weil er unermüdlich und fleißig daran arbeitet, besser zu werden.“ Viermal in der Woche trainiert Marlon, zweimal beim BC Stotzheim, einmal individuell in der Fußballschule und einmal im DFB-Nachwuchsleistungszentrum in Brühl-Schwadorf. Dort erfährt er viel Förderung und spielt auf einem höheren Niveau mit gleich Talentierten, was ihn auf jeden Fall weiterbringt. Hinzu kommt am Wochenende meist ein Spiel. Hilfreich ist, dass der Gymnasiast ein sehr guter Schüler ist und die Familie ihn unterstützt – ohne dass das ganze Familienleben auf Marlons Fußballbegeisterung ausgerichtet ist.

Noch spielt er in Stotzheim, hat in früheren Jahren schon bei Leverkusen – die waren so nett, dass er mitsamt Vater seitdem Werkself-Fan ist – und beim FC – die waren so unpädagogisch, dass er die nicht mehr sonderlich mag – vorgespielt, ist aber dann doch lieber bei seinen Freunden in Stotzheim geblieben. Doch jetzt sieht der Vater die Zeit für den nächsten Entwicklungsschritt gekommen, jetzt soll ein Wechsel zu einem größeren Verein mit entsprechender Jugendförderung – etwa Fortuna Köln – erfolgen. Im Sommer könnte es soweit sein und Marlon freut sich schon auf seinen weiteren Weg Richtung Profitum: „Ich zieh das durch“.

„Profi zu werden ist heutzutage eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit“, sagt der Vater des ebenfalls elfjährigen Len, der auch als besonderes talentiert gilt, ebenfalls aufs Gymnasium geht und in Efferen Fußball spielt. „Es ist kein Ziel, aber ein Traum und wenn es gelingt, erhält er von uns jede nur denkbare Unterstützung“, sagt sein Vater Bastian, der das Zusatztraining in der Fußballschule für wichtig hält, damit sich sein Sohn weiterentwickeln kann. Gerade in der Corona-Zeit, in der Fußball auch im Freien in Gruppen nicht erlaubt war, war die Fußballschule die einzige Möglichkeit, dass Len gefördert werden konnte und in seiner Entwicklung nicht stehen blieb. Insofern sei diese individuelle Einzelförderung schon enorm hilfreich und wichtig. Er hält es bei der Jugendförderung in Deutschland zudem für unbedingt erforderlich, dass mehr in qualifizierte Trainer investiert wird. Und zwar nicht nur im Leistungsbereich, sondern insbesondere in den zahlreichen Vereinen auf der Breitensportebene. Seiner Meinung nach muss der DFB hier mehr Verantwortung - auch finanzieller Art - übernehmen. Nur so könne die Nachwuchsförderung wirklich effektiver werden und es könnten wieder mehr Talente den Sprung nach oben schaffen.

Für Len selbst wäre Fußballprofi ein Traumberuf, er schätzt aber auch realistisch ein, dass er dazu neben allem Talent auch verdammt viel Glück benötigt. Und auch für ihn, der mit seinem Vater leidenschaftlicher Gladbach-Fan ist, und schon mal mit Florian Neuhaus in den Borussia-Park eingelaufen ist, soll im Sommer der nächste Schritt erfolgen: zu einem der Vereine, die in der Region für ihre besondere Jugendförderung bekannt sind. Wissend, dass es unwahrscheinlich schwierig ist, sich durchzusetzen, bleibt der Traum für Len und seinen Vater dennoch bestehen.

94 Kilometer fährt Joel`s Vater Chris aus Mechernich in der Eifel, um seinen Sohn, der in Köln bei seiner Mutter lebt, abzuholen und dann nach Hürth zum Training zu fahren. 94 Kilometer – für eine Strecke. Und dies mehrmals in der Woche. Auch Joel hat das Ziel, Fußballprofi zu werden, spielt beim FC Hürth in der B-Jugend in der Mittelrheinliga schon ziemlich hochklassig und ist Linksfüßler – was für die Karriere nur gut sein kann, denn ein guter Linksfuß mit Spielverständnis und Übersicht ist selten.

So hätte der 15-Jährige bei einem Urlaubsbesuch 2020 in Polen (sein Vater stammt daher) auch glatt direkt bei Erstligist Lechia Danzig bleiben können. Der Verein hätte ihn gerne sofort verpflichtet, doch in so jungen Jahren die Heimat verlassen, Freunde und Schule aufgeben, kam nicht infrage. Zumal Joel ein guter Gymnasiast ist und weiß, wie wichtig ein guter Schulabschluss ist. Schließlich hat er schon mal erfahren, wie schnell der Fußballtraum ausgeträumt sein kann: er fiel schon einmal ein halbes Jahr verletzt aus. Doch derzeit läuft es gut und der Wechsel zu einem größeren Verein muss gut überlegt werden: „Lieber bei einem kleinen Verein regelmäßig spielen, als bei einem großen Verein auf der Bank sitzen“, sagt Joel. Und sein Vater fügt an: „Früher oder später wird ohnehin jemand auf ein besonderes Talent aufmerksam, das bleibt in Deutschland ja nicht unentdeckt und Joel hat noch genügend Zeit sich zu entwickeln.“

Dieser sieht in seinem Vater einen wichtigen Unterstützer, der ihn auch hart kritisieren darf. „Mein Vater pusht mich, er bringt mich weiter und ganz klar: Fußball ist Papa“, so Joel, der in seinem Ehrgeiz auch schon mal gebremst werden muss. So läuft er auch in den Ferien dreimal in der Woche und macht viermal Krafttraining – auch um ein Defizit auszugleichen, denn er ist eher klein und schmal für sein Alter und das versucht mancher Gegner schon mal durch besondere Härte im Spiel auszunutzen. Joels Rezept: schneller und wendiger werden, „damit ich möglichst wenig in solche 1:1-Situationen komme“. Und körperlich zuzulegen, damit der Traum vom Profi möglichst lange geträumt werden kann.

Redakteur/in:

Holger Slomian aus Pulheim

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