Ausstellung
Goethe aus heutiger Sicht

Johan Wolfgang Goethe von Christian Daniel Rauch, 1839, Marmor. | Foto: rth
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  • Johan Wolfgang Goethe von Christian Daniel Rauch, 1839, Marmor.
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Bonn - Es ist schon ein besonderes Unterfangen, eine Ausstellung über den
gerne als größten Deutschen Dichter bezeichneten Johann Wolfgang von
Goethe zu planen, vorzubereiten und dann auch zu realisieren. Scheint
es doch, als sei alles mehr als einmal gesagt und geschrieben, aus
verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, auf alle Eventualitäten und
Zusammenhänge abgeklopft und in die verschiedensten Zusammenhänge
gebracht. Und doch ist es des Bundeskunsthalle und Klassik Stiftung
Weimar gelungen, den großen Dichterfürsten und vielleicht noch
größeren Wissenschaftler und Naturforscher neu zu betrachten.

Wie der Titel der Ausstellung schon ganz klar vorgibt erscheint uns
Goethe in der Ausstellung als Repräsentant eines Wandels: „Goethe.
Verwandlung der Welt“. Es wäre allerdings ein Fehler, wolle man die
Ausstellung so auffassen, als würde einem Goethe in seiner Person
und/oder seinem Handeln und Schaffen in all seiner Komplexität
vorgestellt, es ist eher so zu verstehen, dass die Ausstellung in
ihrer ganzen Vielfalt Anregungen gibt, sich mit dem einen oder anderen
oder mehreren Aspekten auseinander zu setzen. Und dies aus bewusst
heutiger Sicht. Und lässt man sich darauf ein wird man feststellen,
dass an „allen Ecken und Enden“ Bezüge zur Gegenwart hergestellt
werden können, ja müssen, und man wird feststellen, wie die
Beschäftigung mit Goethe auch heute in einer Zeit, die sich ebenfalls
verwandelt, durchaus lohnt.

Die Zeitspanne, in der er lebte, ist markiert durch das „Heilige
römische Reich Deutscher Nation“, in das er am 28. August 1749
hineingeboren wird und der er 1764 der Krönung Joseph II aus dem
Hause Habsburg in seiner Heimatstadt Frankfurt beiwohnt, und der
Moderne als Folge der Französischen Revolution und der technischen
Revolution. Sie ist geprägt von Entwicklungen, in deren Folge nicht
viel weniger als alles, was das Kaiserreich repräsentierte, auf den
Kopf gestellt wurde. Wahrlich, eine Verwandlung der Welt, die durchaus
Parallelen zur heutigen Zeit hat.

Diese sich in dieser Zeitspanne in allen Bereichen des Lebens
vollziehende Veränderung, mal langsam, mal wahrhaftig revolutionär,
zeigt sich in der Ausstellung an exemplarischen Beispielen. Gegliedert
ist sie in neun Abteilungen, die von einem zentralen Punkt aus, einem
Rondell, durch verschiedene Durchgänge zu erreichen sind.

Die Bildung, die er im Elternhaus in Frankfurt genoss, umfasste neben
dem damals üblichen Fächerkanon vor allem die Möglichkeit, in der
väterlichen Bibliothek, die, durchaus unüblich in damaliger Zeit,
mehrere tausend Bände umfasste, seiner Neugier und Wissbegierigkeit
freien Lauf zu lassen. So kam er schon früh in Kontakt mit dem
Volksbuch des Dr. Faustus, er erlernte neben anderen Fremdsprachen die
arabische Sprache. Das Jiddische konnte er nahezu nebenher erlernen in
der Stadt mit einer großen jüdischen Bevölkerungsdichte und
Präsenz im täglichen Leben.

All dies war, zusammen mit seinem „Jurastudium“ und der
privilegierten Arbeits- und Lebenssituation, für seine weitere
Entwicklung von eminenter Bedeutung. Aber auch die daraus
resultierende Beschäftigung mit Naturphänomenen, (auch anschaulich
dargestellt in der begleitenden Ausstellung „Goethes Gärten“ auf
dem Dach der Bundeskunsthalle), und, was er als wichtiger als seine
Dichtung betrachtete, seiner Farbenlehre, bilden Schwerpunkte der
Ausstellung. Sie deuten Goethes eigenständige Position (emotionale
Bewertung der Farben im Zusammenhang der Betrachtung der Natur), im
Gegensatz zur wissenschaftlich physikalischen Position eines Newton
(Farbspektrum aus der Zerlegung des Lichts durch ein Prisma).

Seine Beschäftigung mit der Antike und die Begegnung mit ihr auf
seiner Italienreise findet eher im emotionalen Bereich seiner Dramen
als in der archäologischen Betrachtung ihren Niederschlag. Auch seine
Auseinandersetzung mit der Romantik, zunächst mit großem Wohlwollen
und später mit zunehmender Skepsis, oder sein Verhältnis zu Napoleon
in der zeitlichen Nachfolge der französischen Revolution ist
ambivalent.

Was die Ausstellung also so interessant macht ist, dass sie aus dieser
Kenntnis heraus in großen Sprüngen Verbindungslinien zur Gegenwart
zieht und somit die Aktualität Goethescher Gedanken und seine
Auseinandersetzung mit der Lebenswelt aufzeigt. Sei es in der Kunst
und Kulturgeschichte, von romantischen Schäfergedichten bis hin zur
dunklen Sozialutopie in Faust II., sei es in den Naturwissenschaften
oder Religion, wo er in der Metamorphose, der andauernden
Veränderung, ein Grundprinzip sieht: all dies findet sich heute
wieder in den Grundfragen, die die Menschheit bewegt.

Es ist fast unmöglich, die ganze Ausstellung in all ihren
Einzelheiten zu betrachten, und so tut man gut daran, sich einen
ersten Eindruck in den einzelnen Abteilungen zu verschaffen, um sich
anschließend Schwerpunkte herauszusuchen, die man nochmals genauer
betrachtet. Sicherlich bleibt man am ehesten an Bekanntem hängen, am
Faust oder am Werther, der mit den Pistolen. Aber die Fülle und die
Bandbreite der ausgestellten Werke erlauben es durchaus, auch noch
einmal ein zweites oder drittes Mal zu Besuch beim zumindest einem der
größten Deutschen zu kommen.

Infos kompakt

Goethe. Verwandlung der Welt
17. Mai bis 15. September 2019
Bundeskunsthalle Bonn

Friedrich-Ebert-Allee 4
53113 Bonn
Öffnungszeiten
Di und Mi: 10 bis 21 Uhr
Do bis So: 10 bis 19 Uhr
www.bundeskunsthalle.de

- Rolf Thienen

Johan Wolfgang Goethe von Christian Daniel Rauch, 1839, Marmor. | Foto: rth
Entwurf für ein Goethe Denkmal in Rom von Gustav Heinrich Eberlein, 1902, Gips getönt; links: Goethe Nr. 29 von Andy Warhol, 1982, Siebdruck auf Karton. | Foto: rth
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