Tschernobyl-Kinder wieder zu Gast in Lohmar
Fast-Food schlimmer als Radioaktivität?

Die Kinder aus Chojniki und die der Lohmarer Gastfamilien freuen sich auf tolle dreieinhalb Wochen. | Foto: Woiciech
  • Die Kinder aus Chojniki und die der Lohmarer Gastfamilien freuen sich auf tolle dreieinhalb Wochen.
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Lohmar - Frische Luft und tolle Leute - Gäste aus Chojniki genießen das
Ferienprogramm der Initiative Tschernobyl-Kinder

„Es gibt viele Gründe für unser Engagement, doch zwei sind für
mich wichtig. Einmal ist es spannend und interessant, eine fremde
Kultur und Sprache kennenzulernen und zum anderen kann ich mir nichts
Schöneres vorstellen, als anderen Menschen etwas zu schenken und
Freude zu bereiten.“ Mit nur wenigen Worten umschrieb Ingo Michel,
Vorsitzender der Initiative Tschernobyl-Kinder Lohmar, beim
Willkommensfest, worum es dem Verein geht.

In der gemütlichen Atmosphäre des Peter-Lemmer-Hauses begegneten nun
die 16 Kinder aus Chojniki den zehn Gastfamilien. 1991 schlossen sich
mehrere Eltern zu einer Initiative zusammen, als sie in einem
TV-Bericht von den Schicksalen der Bevölkerung hörten, die immer
noch unter den Folgen der Explosion des Atomreaktors in Tschernobyl zu
leiden haben.

Neben Hilfstransporten organisierte man regelmäßig Freizeiten.
Zahlreiche junge Besucher kamen seitdem nach Lohmar und erlebten die
hiesige Region. 2004 stellte sich die Institution auf Vereinsfüße.
Auch wenn mittlerweile keine Hilfstransporte mehr stattfinden, ist die
Kindererholung ein existenzieller Teil der ehrenamtlichen Arbeit.

Die Behörden in Weißrussland bilden im Vorfeld Listen, welche
Sprösslinge zum Deutschlandbesuch ausgewählt wurden. Zwar gibt es
dort auch ähnliche Angebote, die zum Beispiel mit Schulunterricht
verbunden sind. Aber für den Nachwuchs, im Alter von 9 bis 14 Jahren,
ist die Reise nach Lohmar stets ein echtes Erlebnis. Rund 29 Stunden
dauert die Busfahrt, an die eine kurze Erholungsphase gekoppelt ist.

Anschließend steht ein dreieinhalbwöchiges Programm auf dem Plan.
Dass die kleinen Gäste oft nur Russisch sprechen, ist beileibe kein
Problem. Einen Spickzettel mit russischen Begriffen und Wörtern hat
man immer griffbereit. „Auch mit Händen und Füßen ist eine
Verständigung möglich“, erläutert Daniela Abbassian, die diesmal
niemanden aufnehmen kann. Da sie aber der Sprache mächtig ist,
springt sie spontan, neben den Betreuerinnen, gerne ein.

Viele von ihnen zeigen enormen Ehrgeiz und lernen schnell, ganz gleich
ob Englisch oder Deutsch. Die meisten Teilnehmer sind zum ersten Mal
in Lohmar, bis auf Polina und Diana, die bereits im letzten Jahr mit
dabei waren. Beide kommen erneut bei der Familie des zweiten
Vorsitzenden Steffen Büchel unter. Wenn man fragt, was sie besonders
schön an Lohmar finden, antworten sie „Alles.“ Vor allem von der
sauberen Luft und den tollen Leuten sind sie begeistert. Zu Hause
riecht es zwar auch nicht anders, doch die Vergangenheit hängt wie
ein drohender Schatten über dem Landstrich.

„Man hat schon das Gefühl, dass dort irgendetwas ist.“ Wie viele
ihrer Landsleute befanden sich Polina und Diana ebenfalls in der Nähe
des Sperrgebietes, aber die Radioaktivität spielt für ihren Alltag
kaum eine Rolle. Die Lebensmittel sind eigentlich sehr gering
belastet. „Außer bei den Pilzen“, erklären sie.

Wesentlich schlimmer empfinden die Jugendlichen die Auswirkungen von
Fastfood „Das ist in der Tat nicht gut.“ Die Kinder, die derzeit
hier verweilen, haben keine gesundheitlichen Schäden. Dennoch sieht
man bei ihnen zu Hause nicht selten kranke und gebrechliche Menschen,
die unter den Folgen des Super-Gaus leiden. Bei ihrem Aufenthalt
konzentriert sich der Nachwuchs verstärkt auf das tolle Programm.

Höhepunkte im letzten Jahr waren das Phantasialand und das
AGGUA-Freizeitbad, wo sie außerdem schwimmen lernen konnten. Aktuell
freuen sich die Mädchen bei den Ausflügen auf den Kölner Dom. Auch
wenn es hier, im Gegensatz zu der Heimat, wie in einer anderen Welt
ist, sind die Menschen in Chojniki nicht weniger glücklich. „Das
spürt man tagtäglich. Es wird ebenfalls ein fester Zusammenhalt
praktiziert. Allerdings gibt es dort nicht so viele Luxusprobleme wie
hier, man widmet seine Aufmerksamkeit eher auf wesentliche Dinge im
Leben“, fügt Steffen Büchel hinzu. Was für die weißrussischen
Kinder von Bedeutung ist, zeigt sich in den Wochen ganz klar. Es
bilden sich Freundschaften, nicht nur untereinander, sondern obendrein
zu den Gastfamilien und allen Beteiligten. Sie ist eine große
Bereicherung für beide Seiten.

Wer sich für die Initiative interessiert, kann sich gerne melden.
Neue Gastfamilien sind jederzeit willkommen. Kontakte und Infos unter
www.tschernobyl-kinder-lohmar.de

- Dirk Woiciech

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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