Reisen
Keine Lust auf Fernreisen

Keine Lust auf Fernreisen

„Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah“ – wusste schon Goethe.
Reisen in ferne Länder wird wegen Corona nur noch unter strengen Sicherheitsmaßnahmen möglich sein. Damit haben Urlaubsreisen für mich ihre Unbeschwertheit verloren. Denn egal, ob ich mich in der Luft, auf dem Wasser oder an Land bewege, der unsichtbare Feind wird mein ständiger Begleiter und mir nah sein wie kein anderer. Und weil Niemand genau sagen kann, wo er mich infizieren wird, halte ich das Risiko einer Ansteckung so gering wie möglich und habe alle Urlaubspläne gestrichen. Nun übe ich mich darin meine unpopuläre Entscheidung schönzureden. Ja, künftig bleiben mir lange Schlangen am Flughafen erspart. Ja, ich muss keine toxisch verunreinigte Kabinenluft einatmen. Ja, ich werde nicht mehr zwischen einer männlichen Whiskey-Fahne und einer weiblichen Schnattertante stundenlang ausharren müssen – diese Herrschaften gehören meiner reiselustigen Vergangenheit an. Genauso wie das unberechenbare Wetter vor Ort das entweder zu heiß, zu kalt, zu stürmisch oder zu regnerisch ist, weil sich das Klima auf der ganzen Welt verändert hat. Nie mehr werde ich mit gierigen Russen eine heiße Schlacht am kalten Buffet austragen und mit Helikopter-Eltern über die Erziehung ihrer verzogenen Kinder diskutieren. Wunderbar! Und wenn ich in Kairo, Neapel oder Antananarivo auf Madagaskar krank werde, brauche ich nicht in einem solala Hospital um mein Leben zu fürchten. Nein, ich lasse mich einfach in die Kölner Uniklinik einweisen, weil ich meine Urlaube demnächst zu Hause verbringe; mit Freunden grillend am See oder in einem Biergarten um die Ecke. Das ist allemal erholsamer, als sich die Welt anzusehen, die man dann doch nicht sieht, weil dafür zwei Wochen viel zu kurz sind. Die Welt findet sich auch in Klein- und Großstädten, in jedem Museum, jedem Theater, jeder Ausstellung, und allen Restaurants mit ausländischen Spezialitäten. Dafür brauche ich nicht nach China oder Südamerika zu reisen. Nein, muss ich nicht, nicht mehr, um genauer zu sein. In meiner Stadt kann ich in aller Ruhe shoppen, ohne den Preis verhandeln zu müssen und reden mit wem ich will, weil alle meine Sprache sprechen. Zwar lassen sich dabei Missverständnisse nicht gänzlich vermeiden, aber wesentlich leichter aufklären, wenn das Gegenüber nicht nur Thai versteht. Natürlich ist Schlafen zuhause erholsamer als in einer Safari-Lodge, wenn in der tropisch heißen Nacht plötzlich die Klimaanlage ausfällt, und man verdächtig nah das Brüllen eines Löwen hört. Wilde Tiere in der Wildnis schön und gut. Aber Schlangen, Skorpione und giftige Spinnen, bitte nicht unter meinem Bett. Da schlafe ich doch lieber im eigenen, mit getesteter Matratze und aprilfrischer Bettwäsche und stehe erst auf, wenn mittags Hermes-Versand klingelt und mir die Sommerstiefeletten von Zalando bringt, die ich mir jetzt locker leisten kann, weil ich nicht mehr verreise. In Zukunft werde ich also kein bisschen neidisch auf die Leute sein, die über meinen Kopf hinweg in weit entfernte Länder fliegen, während ich bequem im Liegestuhl einen Eiskaffee schlürfe und mich in den Bildband über Kambodscha vertiefe oder mich zur Halong-Bucht nach Vietnam träume. Bon Voyage. Schönreden klappt nicht immer, aber immer öfter.

LeserReporter/in:

Astrid Hülser aus Brühl

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