Long Covid
Seit ihrer Infektion mit SARS-CoV-2 ist für Pia nichts mehr wie früher

Seit Pia an Long Covid leidet ist ihr Leben nicht mehr wie früher. Sie hat zwei Selbsthilfegruppen gegründet, um der Krankheit zu begegnen. | Foto: we
  • Seit Pia an Long Covid leidet ist ihr Leben nicht mehr wie früher. Sie hat zwei Selbsthilfegruppen gegründet, um der Krankheit zu begegnen.
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Bonn - „Ich erschrecke mich noch heute ab und zu, wenn neben mir ein Blatt
vom Baum fällt.“ Pia Chowdhury hat sich im Oktober des letzten
Jahres infiziert. Covid 19. Seitdem ist für die junge Frau nichts
mehr so, wie es war.

„An der Kasse im dm wollte ich bezahlen und fand mich auf dem Po
sitzend wieder. Ich habe Schwierigkeiten, meine Bewegungen zu
koordinieren und die Muskeln in meinem Bein versagten einfach. Hinzu
kommen Atemnot und Muskelschwäche, Herzstolperer und Gelenkschmerzen
sowie Konzentrationsprobleme. Bei der Ausführung alltäglicher
Aufgaben – Teekochen oder ein Telefonat führen – hängt das
Gehirn nach und sie hat häufiger einen Aussetzer. Wie ein weißes
Blatt Papier, und sie weiß, dass sie etwas denken wollte, aber weiß
nicht mehr was es war. Sowie viele andere Symptome, die nicht
‚normal‘ sind.“

Pia ist allein mit sich und Long Covid, weil sie das Gefühl hat, dass
die Krankheit oft nicht als solche erkannt wird. Was hat sie sich
alles anhören müssen: ‚Stellen Sie sich nicht so an‘ war noch
das Harmloseste. „Die Ärzte wissen zu wenig über die Krankheit.“
Unter anderem in Bonn läuft gerade eine Studie. Was aber warum wie
den Krankheitsverlauf so positiv beeinflusst, dass man von Heilung
sprechen kann, ist nach wie vor unbekannt.

Die Symptome ähneln vielfach der multiplen Sklerose. „Ich muss
meinen Tagesablauf genau planen, spontanes Handeln ist oft nicht
möglich“, weiß Pia. Außerdem muss sie regelmäßig Pausen
einplanen und ihre Aufgaben an das Leistungsvermögen anpassen. Immer
wieder in sich reinhören und die Tagesplanung anpassen. Das nennt man
Pacing. Sie ist, eben weil keiner die Ursache der Symptome kennt,
allein mit ihrer Krankheit, muss selbst einen Weg aus dem Dilemma
suchen. Weil niemand praktikable Lösungen kennt.

Weil niemand helfen konnte und vielfach wohl auch nicht wollte, hat
Pia sich selbst geholfen. „Ich manage mich selbst. Gehe bewusst
raus, auch wenn das mit Schwierigkeiten verbunden ist." Damit will sie
der Isolation entkommen, dem Kranke zwangsläufig häufig ausgesetzt
sind. Und sie verrichtet die Dinge des Alltags. Staubsaugen zum
Beispiel. Die Wohnung aufräumen. Auch, wenn‘s schwer fällt. „Ich
bleibe nicht im Bett liegen, sondern versuche, aktiv mit der Krankheit
umzugehen.“ Sie hat zwei Selbsthilfegruppen ins Leben gerufen. Die
Selbsthilfekontaktstelle des Paritätischen Wohlfahrtsverband hat ihr
dabei geholfen. Die Gruppen treffen sich alle zwei Wochen online.

„Der Austausch mit ebenfalls Betroffenen hilft, mit der Krankheit
klar zu kommen.“ Und sie hat einen Physiotherapeuten, der
abwechselnd ihre Beine oder alternierend dann auch ihren Hals und Kopf
schmerzfrei hält. Des weiteren hat sie sich psychologische Hilfe
geholt, um das Erlebte zu verarbeiten und neue Handlungsmöglichkeiten
gemeinsam zu erarbeiten. „Weil keiner weiß, warum Long Covid
entsteht, kennt auch keiner eine Patentlösung, um zu gesunden.“

Pia glaubt, dass Long Covid ein unseliges Zusammenspiel von neuronalen
und körperlichen Ursachen ist. Sie hofft, dass die Datenlage so
umfassend wird, dass die Krankheit auch von den Krankenkassen voll
umfänglich anerkannt wird und die Handlungsempfehlungen alle
Hausarztpraxen erreichen, um den Menschen, die in Zukunft erkranken,
schneller Hilfsangebote zukommen zu lassen.

Die Frage, wie die Gesellschaft mit Unangenehmem umgeht, stellt sich
in diesen Tagen vielfach. Das reicht von Menschenrechtsfragen über
den Klimaschutz bis zum Umgang mit Covid 19. Eine Lösung für das
Problem ist nicht in Sicht. Es allerdings einfach zu negieren, löst
auch kein Problem.

„Ich habe Erinnerungen, die kein Mensch braucht“, meint Pia. Sie
glaubte sehr oft, im falschen Film zu sein. „Klar, man weiß heute
mehr als noch vor Jahren“, sagt sie. „Aber ich habe immer noch
Schwierigkeiten, meinen Alltag zu meistern. Die Anpassung des Alltags
an das Machbare ist anstrengend und stößt nicht immer auf
Verständnis. Sie stellt sich vor, dass ihre Symptome für 90-Jährige
normal sein können. Aber Pia ist erst 40 „und meine Umwelt sieht
die 40-Jährige und überschätzt meine Belastbarkeit öfters, etwa im
Straßenverkehr oder im Gespräch. Ich fühle mich oft wie unter einem
Glasdeckel, ich komme aber nicht raus.“

Belastbare Zahlen über die Anzahl von Post-Covid-Patienten und
Patientinnen gibt es nicht. Männer sind seltener betroffen als
Frauen. Allein die Post-Covid-Facebook-Gruppe in Großbritannien
zählt mehr als 43.000 Mitglieder. Wer Kontakt zu Mitbetroffenen
sucht, wird hier fündig:
selbsthilfe-bonn@paritaet-nrw.org.

- Harald Weller

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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