Gymnasiasten bedrückt
Ohne Hass & Rache den Holocaust überlebt

Für den beeindruckenden Vortrag bedankten sich der Schulleiter des HGW, Frank Bolscheid (l.) und Lehrerin Nadine Friederichs (r.) bei Dr. Leon Weintraub, der von seiner Frau Evamaria Loose-Weintraub begleitet wurde. | Foto: Jürgen Sommer
  • Für den beeindruckenden Vortrag bedankten sich der Schulleiter des HGW, Frank Bolscheid (l.) und Lehrerin Nadine Friederichs (r.) bei Dr. Leon Weintraub, der von seiner Frau Evamaria Loose-Weintraub begleitet wurde.
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Waldbröl - Er war damals 13 Jahre alt, aber das Geschepper der Nagelstiefel, der
in Lodz einmarschierenden deutschen Soldatenkolonnen, ist dem heute
93-jährigen Dr. Leon Weintraub noch gut in Erinnerung. Weintraub ist
einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen des Holocausts. Von seiner
Wahlheimat Stockholm aus, ist er - trotz seines hohen Alters - häufig
noch immer auf Vortragsreisen unterwegs. Begleitet wird er von seiner
Ehefrau Evamaria Loose-Weintraub. „Gegen das Vergessen“, mit
dieser Losung möchte Leon Weintraub Signale setzen. Durch die
Vermittlung von Nadine Friederichs, Lehrerin am Hollenberg-Gymnasium
Waldbröl (HGW), erklärte sich Weintraub bereit, vor Schülern der
Oberstufe über sein Leben zu sprechen. Weintraub, in Lodz geboren und
mit vier Geschwistern in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen,
erlebt 1940 die Umsiedlung der Familie in das am Stadtrand von Lodz
gelegene Ghetto Litzmannstadt. Nur ein Zimmer stand dort acht Personen
zur Verfügung aber die Familie, seine Geschwister und die
alleinerziehende Mutter werden nicht getrennt.

Mit leiser Stimme, sachlich, fast so scheint es, emotionslos, spricht
der Holocaust-Überlebende ins Mikrofon und berichtet von der im
August 1944 erfolgten Deportation ins Konzentrationslager
Auschwitz-Birkenau. Bei der dortigen Selektion sieht er seine Mutter
zum letzten Mal.

Tag und Nacht quoll dunkler Rauch aus dem Krematorium und der
beißende Gestank setzte sich überall in den Kleidern fest, berichtet
Weintraub, der dem Tod durch Vergasung durch eine List entging.
Unbeobachtet und trotz Bewachung unentdeckt, schloss er sich einer
Kolonne an, die zu einem Gefangenentransport geführt wurde.

Immer wieder wird er in den folgenden Monaten in andere Lager verlegt.
Strafen für kleinste Verfehlungen sind überall an der Tagesordnung.
Dazu gehören auch die Schläge mit sandgefüllten Schläuchen auf das
entblößte Hinterteil. Hunger ist ein täglicher Begleiter.
„Hunger, das ist ein schmerzhaftes Gefühl“, sagt er leise aber
mit Nachdruck und versucht mit diesen Worten die jungen Menschen in
der Aula für etwas zu sensibilisieren, was diese Generation so noch
nie kennengelernt hat.

1945 gelingt Weintraub mit anderen Häftlingen die Flucht, als der von
SS Leuten begleitete Zug bei einer Verlegung von Fliegern beschossen
wird. Nach einem Fußmarsch kommt er im von Franzosen besetzten
Donaueschingen an.

Ein neuer Lebensabschnitt beginnt und nach Kriegsende studiert
Weintraub Medizin. Er arbeitet als Gynäkologe. Während des über
zwei Stunden langen Vortrages kann man eine Stecknadel fallen hören,
es ist fast bedrückend still in der Aula!

„Was hat ihnen die Kraft gegeben all das durchzustehen?“ fragt
eine Schülerin nach dem Vortrag. „Es sind die Gene und mein
Optimismus“, so lautet die kurze Antwort des Naturwissenschaftlers.

„Ich kann heute damit leben was geschehen ist und darüber berichten
ohne in Tränen auszubrechen. Ich bin heute ein zufriedener Mensch
ohne Rachegefühle und habe zwei Worte aus meinem Wortschatz
gestrichen: Hass und Rache!“

So verabschiedet sich Leon Weintraub nach seinem ergreifenden Vortrag
von den Schülern.

So lange die Kraft reicht möchte Weintraub vor allem jungen Menschen
davon berichten was geschah und sie auch in Anbetracht der anstehenden
Europawahl ermutigen ihre demokratischen Rechte als Wähler
wahrzunehmen.

Weitere Stationen seiner Vortragsreise waren Köln, Fulda und
Zweibrücken.

- Jürgen Sommer

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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