Gedenken
Dem Grauen ein Gesicht geben

Marion Reinecke (r.) begrüßt die Zeitzeugin Tamar Dreifuss (l.) 		 | Foto: Michael Kupper
  • Marion Reinecke (r.) begrüßt die Zeitzeugin Tamar Dreifuss (l.)
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Nümbrecht. Die Gemeinde Nümbrecht und der Freundeskreis Nümbrecht-Mateh Yehuda luden zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in das Rathaus ein.

Seit 1996 ist der 27. Januar ein bundesweiter gesetzlicher Gedenktag, der sich auf den Jahrestag der Befreiung aus dem KZ Auschwitz vor 78 Jahren bezieht.

„Wir dürfen das Erinnern nicht vergessen“, betonte Bürgermeister Hilko Redenius bei der Begrüßung der gut 80 Gäste. „Wir müssen dem Grauen ein Gesicht geben - so etwas wie damals darf nie wieder von deutschem Boden ausgehen.“

Als Ehrengast berichtete die Kölner Jüdin Tamar Dreifuss, die 1938 in der litauischen Hauptstadt Wilna geboren wurde, von der Judenverfolgung in ihrer Kindheit. Marion Reinecke, Vorsitzende des Freundeskreises, hob die Bedeutung ihres Vortrags hervor, da Dreifuss trotz vieler Anfragen die Nümbrechter Einladung zu dem Gedenktag angenommen hatte.

Bis ins Alter von drei Jahren habe sie eine ganz normale Kindheit in Wilna gehabt, berichtete die Zeitzeugin. Doch plötzlich sei die Familie gezwungen worden, ihre Wohnung zu verlassen. Im Vorort Ponar hätten sie eine Zweizimmerwohnung gefunden und dort mitbekommen, wie die Nazis Tausende Menschen im nahen Wald erschossen hätten. Unter den Opfern seien auch ihre Großeltern gewesen: „Besonders schlimm war, dass sie an Jom Kippur ermordet wurden - das ist eigentlich das Versöhnungsfest.“

Nach einer zeitweiligen Trennung von ihren Eltern sei sie später mit ihnen zusammen ins Wilnaer Ghetto gekommen.

Bald darauf sei ihr Vater abgeführt und ermordet worden.

Mit ihrer Mutter zusammen sei sie danach in einem Viehwaggon ins Durchgangslager Tauroggen deportiert worden. Zwei Fluchtversuche auf dem Weg dorthin hätten mit Peitschenhieben und Gewehrkolbenschlägen auf dem Kopf geendet.

Im Lager sei dann eine Gemeinschaftsdusche angeordnet worden. Diesen Umstand habe ihre Mutter genutzt, um aus einem Kleiderstapel für beide schöne Sachen herauszusuchen: „Sogar eine Schleife hatte ich auf dem Kopf.“ Dann seien sie in Richtung Ausgangstor marschiert. Als sie dort ankamen, sei der Wächter durch Gewehrschüsse kurz abgelenkt gewesen: „Es war ein Wunder, dass wir das Lager unbehelligt verlassen konnten.“ An-

schließend hätten sie sich zu verschiedenen Bauernhöfen durchgeschlagen, wo ihre Mutter als Magd gearbeitet habe - bis zur Befreiung durch die rote Armee im Sommer 1944. Vier Jahre später sei sie mit ihrer Mutter nach Israel ausgewandert und habe dort ihre Ausbildung als Erzieherin gemacht.

Nach ihrer Hochzeit sei sie mit ihrem Mann nach Deutschland gezogen. Dort habe sie nach ihrer Pensionierung die Lebensgeschichte „Sag niemals, das ist dein letzter Weg“ ihrer Mutter Jetta Schapiro-Rosenzweig aus dem Hebräischen ins Deutsche übersetzt. Auf Anregung ihrer Enkel („Du musst auch Deine Geschichte erzählen“) sei danach das Kinderbuch „Die wundersame Rettung der kleinen Tamar 1944“ erschienen. Seitdem sehe sie ihre Aufgabe darin, auf Lesungen über den Holocaust aufzuklären.

Musikalisch umrahmt wurde der ergreifende Bericht vom dem Kölner Professor Igor Epstein. Er spielte auf der Violine schwungvolle Varianten von Klezmer-Stücken.

Freie/r Redaktionsmitarbeiter/in:

Michael Kupper aus Reichshof

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