Kölner Chöre zwischen Vorsicht, Frust und Zukunftsplänen
In der C(h)orona-Krise

Chorleiterin Christine Albert | Foto: priv
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Köln - (pm). Während nach und nach das Leben zurückkehrt, dürfen alle,
die in ihrer Freizeit in einem Chor singen, ihrem Hobby noch immer
nicht wie gewohnt nachgehen. Der Kölner Wochenspiegel hat bei drei
Chorleitern nachgefragt, wie sich die Corona-Pandemie auf die
musikalische Arbeit und das Chorleben auswirkt. Christine Albert
leitet den Kinderchor der evangelischen Kirchengemeinde
Köln-Ehrenfeld, Joachim Diessner leitet die Ehrenfelder Kantorei und
Wolf Rüdiger Spieler leitet den reger chor köln.

Wie erleben Sie als Chorleiter die gegenwärtige Situation?
Albert: Als Herausforderung, befrachtet mit Schwierigkeiten, aber auch
mit vielen positiven Überraschungen.
Diessner: Die aktuelle Situation erlebe ich natürlich als recht
schwierig, höchst unbefriedigend, ein wenig enttäuschend und
frustrierend. Ich leite eine evangelische Kantorei mit 58 Sängerinnen
und Sängern. Dabei ist es wenig tröstlich, dass die Sachen ‚nur‘
um ein Jahr verschoben wurden, denn es steckte in allem bereits viel
Arbeit und für einen Chor ist es unheimlich traurig, das Erlernte
nicht im Konzert präsentieren zu können. Seit Monaten ruht nun
unsere Chorarbeit und das Schlimmste an der ganzen Situation ist das
Fehlen einer Deadline: Niemand kann uns voraussagen, wann wir wieder
einen Status der Normalität erreicht haben werden.
Spieler: Als wir mit dem reger chor köln unser Konzert in der
Trinitatiskirche gegeben haben dachten wir nicht, dass es vorläufig
und leider bis heute unser vorläufig letztes Konzert gewesen sei.
Seitdem haben wir leider nicht mehr proben und auftreten können. Das
ist bedrückend und schade, weil ein Chor ja neben den gemeinsamen
Tönen und den Auftritten auch von Begegnung und Austausch lebt.

Wann und wie planen Sie, wieder gemeinsam zu singen?
Albert: Ich treffe mich seit Schuljahresbeginn wieder mit
Kinderchorgruppen: Mit den jüngeren Kindern probe ich zur Zeit nur
draußen, mit den Älteren in kleinen Gruppen drinnen: wir machen
Übungen zu Rhythmus und Metrum, lernen neue Lieder übers Hören,
entwickeln Choreographien dazu, sprechen Liedtexte als Gedichte oder
als Rap, probieren neue Melodien summend aus, was als ungefährlich
gilt - natürlich alles mit entsprechendem Abstand und bei guter
Belüftung.
Diessner: Wir haben unsere Probenarbeit noch nicht wieder aufgenommen.
Spieler: Wir sind rund 50 Sängerinnen und Sänger. Angesichts der
Auflagen von mehreren Metern Abstand pro Person gibt es einfach kein
Räume, in denen man sinnvoll musizieren könnte. Ich kann ja auch
nicht 4 Chorproben mit jeweils rund 12 Sängerinnen und Sängern
hintereinander machen. Wir müssen uns ja gemeinsam klanglich finden.

Wie stehen Sie zu „Digitaler Chorproben“?
Albert: Ich stehe dem Digitalen in jeder Form kritisch gegenüber und
empfinde es insbesondere bei solch sinnlichen Erfahrungen wie
gemeinsamem Singen als eher frustrierend. Ich habe nur als Zuschauer
Erfahrung damit, würde es selbst aber nicht anbieten oder mich als
Sängerin daran beteiligen.
Diessner: Ebenso wenig wie beispielsweise Online-Gottesdienste
ersetzen digitale Chorproben das Gemeinschaftsgefühl und bringen
meines Erachtens auch klanglich nichts. Das Format mag sich für
andere Chöre anbieten; wir aber arbeiten überwiegend im
Klassik-Bereich und da sind Online-Proben völlig unzureichend und
unbefriedigend.
Spieler: Das nützt uns im reger chor köln auch nichts. Digitale
Proben heißt nichts anderes, als das jedes Chormitglied einzeln von
zuhause aus in ein Mikrofon singt und dabei nur sich und eventuell
eine Klavierbegleitung hört. Erst im zweiten Schritt wird alles
übereinander geschnitten und wird danach im Internet hörbar. Ich
denke, dass das mal ein schönes Event ist, um sich bemerkbar zu
machen und zu zeigen „wir sind noch da, wir machen was…“,
sinnvolle Chorarbeit, Intonation, Arbeit am Klang, gegenseitiges
Aufeinanderhören, Begegnung sind leider nicht möglic

Was geschieht dauerhaft mit einer „verstummten“ Gesellschaft,
in der Singen auf absehbare Zeit nicht mehr möglich ist?

Albert: Wenn eine Gesellschaft als Ganzes und auf Dauer sängerisch
verstummen würde, wäre das natürlich eine große Verarmung. Wenn
wir im Verlauf des nächsten Jahres wieder singen dürfen, wird diese
Durststrecke sowohl gesellschaftspsychologisch als auch von den
einzelnen Chören gemeistert werden können. Wenn das Singen auf lange
Sicht nicht möglich sein wird, sodass eine ganze Generation von
Kindern gemeinsames Singen in Kindergarten, Schule oder Chor nicht
erleben kann, sehe ich einen großen Verlust. Die Pandemie ist aber
auch ein Appell an Familien und an jeden Einzelnen: es gibt ja auch
jetzt viele Möglichkeiten, zu singen: allein unter der Dusche,
gemeinsam draußen, und vor allem in den Familien mit Kindern.
Diessner: Es ist schlichtweg eine Katastrophe! Die Musik lebt davon,
präsentiert zu werden, zu klingen, greif- und erlebbar zu sein.
Chöre und Ensembles werden es schwierig haben, in gewohnter Weise
wieder im Konzertleben oder in der Öffentlichkeit Fuß zu fassen.
Zudem sinkt im Augenblick die Kurve des Vermissens: Eine Gesellschaft
gewöhnt sich schnell daran, auf etwas zu verzichten, besonders, wenn
Musik oder Kultur im Allgemeinen als Luxus und weniger als natürliche
Bereicherung empfunden wird.

Wie blicken Sie mit Ihrem Chor in die Zukunft?
Albert: Ich blicke mit gemischten, aber überwiegend zuversichtlichen
Gefühlen in die Zukunft. Wir planen die Aufnahme von
Weihnachtsliedern in Kleinstgruppen, die wir dann für die Homepage
der evangelischen Kirche zu einem Chorstück zusammenschneiden
möchten. Ich hoffe, bald Auftritte in Seniorenheimen organisieren zu
können, sei es, dass die Kinder über Monitor zu den Menschen in die
Zimmer kommen, sei es, dass wir draußen vor Fenstern oder in
Innenhöfen für die Menschen singen können.
Diessner: Ich schaue trotz allem positiv in die Zukunft, weil ich
weiß, dass unsere Kantorei die Krise meistern und überstehen wird.
Der Chor wird nicht zerbrechen! Ich denke, wir werden zu gewohntem
Singen, Proben, Arbeiten in gewohnter Qualität zurückkommen, auch,
wenn das noch eine Weile dauern kann. Wichtig ist im Augenblick, mit
dem Chor in Kontakt zu bleiben, die Dinge zu erklären, auch auf
Distanz den Blick für einander nicht zu verlieren und Motivation und
Vertrauen aufzubauen.
Spieler: Wir planen ganz vorsichtig und unter großem Vorbehalt das
Chorjahr 2021. Wenn alles gut geht, wollen wir uns Ende November mal
zu einer ersten Kontaktprobe in einem großen Kirchenraum treffen. Ob
wir dann alle zusammen singen oder ob das in ein, zwei Schichten
passiert, werden wir noch sehen und entscheiden. Ich will den
Zusammenhalt des reger chor köln nicht kleinreden und unterschätzen,
wir machen uns jedoch schon Sorgen darüber, ob sich der Chor nach so
vielen Monaten des Pausierens jemals nochmals in der bekannten Form
findet oder ob sich Teile des Chores vielleicht „in alle Winde“
zerstreut haben werden.

Chorleiterin Christine Albert | Foto: priv
Chorleiter Joachim Diessner. | Foto: priv
Chorleiter Wolf Rüdiger Spieler | Foto: priv
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RAG - Redaktion

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