Projektorchester ArtAccA lud ein
Glück Auf! Musik über "Unter Tage"

Uraufführung von ArtAcca: "Tiger & Turtle" von Hans-Günther Kölz im Theater Marl.  | Foto: Anita Brandtstäter
  • Uraufführung von ArtAcca: "Tiger & Turtle" von Hans-Günther Kölz im Theater Marl.
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Marl/Wesseling. Im 19. Jahr seines Bestehens hat das Projektorchester ArtAccA unter Leitung von Tobias Dalhoff ein ganz besonderes Projekt umgesetzt: Mit "Glück Auf! - Musik über 'Unter Tage'" wollen sie das Ruhrgebiet mit seiner Geschichte und Kultur in Akkordeonmusik charaktierisieren. Es wurde eine CD mit demselben Titel aufgenommen - und sie enthält  gleich fünf neue Kompositionen für Akkordeonorchester, die am Sonntag  unter anderem beim Konzert im Theater Marl uraufgeführt wurden.

Zwei Werke aus dem aktuellen Konzertprogramm standen schon einmal auf den Projektprogrammen der vergangenenen Jahre: "Die Reviersymphonie" von Marcus Matuszewski im Jahr 2017 und "Tetraeder" von Hans-Günther Kölz im Jahr 2011. Und mit diesen beiden Originalkompositionen begann auch das Konzert, das die zahlreich erschienenen Zuhörerinnen und Zuhörer auf eine ganz besondere Reise durch das Revier führte - mit Werken über die Zechen, Halden und Landmarken, aber auch mit Rock- und Popmusik.

Mit seiner Reviersymphonie wollte der gebürtige Essener Marcus Matuszewski, der leider vor zwei Jahren viel zu früh verstorben ist, seiner Heimat ein musikalisches Denkmal setzen. Im ersten Satz wird in einer Programmmusik das "Wunder von Lengede" geschildert - "Glück Auf!" steht für die Wünsche, Erzgänge aufzutun, aber auch wieder ans Tageslicht zurückzukommen, und nach dieser Hymne wird das Grubenunglück und die Rettung der verschütteten Bergleute geschildert. Im zweiten Satz gibt es ein naturnahes Stimmungsbild  eines Sommerabends auf der Halde. Der dritte Satz charakterisiert die Region als Schmelztiegel von deutschen "Ureinwohnern" und Gastarbeitern und ihren Familien: Polen, Italiener, Türken. Und im vierten Satz erklingt eine Fanfare, weil die Region zwischen Duisburg und Dortmund als "Kulturhauptstadt" 2010 ausgewählt wurde.

"Tetraeder" war eine Auftragskomposition des Projektorchesters, die das Haldenereignis Emscherblick, kurz Tetraeder, musikalisch umreißen soll, das ist eine begehbare Aussichtsterrasse aus Stahl in Form einer dreiseitigen Pyramide auf der Halde Beckstraße im Bottroper Stadtteil Batenbrock. Und die Komposition von Hans-Günther Kölz beschreibt die vier Flächen: 1. Aufbruch, 2. Auflösung, 3. Ankunft, 4. Rückkehr. Die "Umrundung" wird durch die motivische Entwicklung der Musik mit unterschiedlichen Taktarten erzeugt - bis zur Besteigung in der Coda. Das Werk hat sich in der Akkordeonszene nicht nur in Deutschland etabliert, und dieser große Erfolg brachte Tobias Dalhof auf die Idee, Komponisten zu bitten für andere Kunstwerke des Reviers neue Kompositionen der Oberstufe zu schreiben.

Hans-Günther Kölz setzte die einer Achterbahn nachempfundenen Großskulptur "Tiger & Turtle" musikalisch um - sie steht auf der Heinrich-Hildebrand-Höhe im Angerpark in Duisburg. Die Künstler Heike Mutter und Ulrich Genth wollen die Umbruchsituation im Revier darstellen mit der Dialektik von Geschwindigkeit und Stillstand. Und so gibt es im langsamen Teil schnelle Drehbewegungen und luftige Loopings im schnellen Teil. Und das ganze Werk klingt nach Filmmusik zu einem noch zu drehenden Film.

Auf der Halde Haniel in Bottrop, einer der höchsten Halden im Ruhrgebiet gibt es unter anderem die Installation Totems. In einer kargen Landschaft, die eher an den Mond erinner,  erheben sich befremdlich, aber wunderschön die bunten "Totems", die der baskische Künstler Agustin Ibarrola aus über einhundert Eisenbahnschwellen gestaltete und aufstellte. Das erinnerte den Londoner Komponisten Ian Watson an Stonehenge. In vier Sätzen stellt er diese zeitlose Idee dar.

Das Geleucht ist das größte Montankunstwerk der Welt auf der Moerser Halde. Es ist eine begehbare, überdimensionale Grubenlampe. Der Nürnberger Komponist Stefan Hippe, der sich eher der Neuen Musik verschrieben hat, setzte dieses imposante Kunstwerk ebenso imposant in einem großen Unisono zu Beginn und im Schlussteil um. Aber auch zarte Klänge in Dur-Akkordeon und ein schillerndes Scherzo waren zu hören.

Das Hauptwerk des Skulpturenparks Rheinelbe wird durch Herman Prignans "Himmelstreppe" auf einer Abraumhalde in Gelsenkirchen gebildet. Helmut Quakernack hat daraus eine Komposition gestaltet: mit "Trepp' auf und Trepp ab'" im ersten Teil und mit einer ruhigen Melodie auf dem Plateau - mit virtuoser Spiralnebel-Begleitung. Der Komponist war auch im Saal und konnte selbst etwas zu seiner Arbeit sagen.

Auf dem Programm war eine zweite neue Komposition von Ian Watson "Space Rock", die 2023 vom Schweizer Jugendakkordeonorchester in Auftrag gegeben wurde. Ein Asteroid "Rock" reist durch die Galaxie und sieht die Sonne. Und die Komposition enthält Rock-Musik - kleines Wortspiel - als wichtiges Stilelement. Die Musiker wollen damit auch an das Horizontobservatorium auf der Halde Hoheward in Herten erinnern. Und Rockmusik gab es auch in zwei Arrangements von Hans-Günther Kölz: "Best of Herbert Grönemeyer" - als Ende der ersten Programmhälfte erklangen seine Songs "Männer", 'Mensch", 'Flugzeuge im Bauch", "Mambo" und als Zugabe die Erstaufführung des ganz neuen Medleys mit den Titeln "Zeit, dass sich was dreht", "Der Weg", "Bochum" und "Musik nur, wenn sie laut ist".

Das Finale bildete das Steigerlied - gleich in zwei musikalischen Formen. Wolfgang Ruß-Plötz hat mit den "Steiger-Variationen" eine wunderschöne Komposition über dieses Lied geschrieben, die im Inventar des immateriellen Kulturerbes Deutschlands steht. Er setzt darin die Ängste und Befürchtungen, aber auch die Erleichterung und das schöne Leben musikalisch um - von einer Ballade über Swing bis hin zur Hymne. Und der Dirigent und Verleger Tobias Dalhof hat ein neues Arrangement von "Glück Auf!" geschrieben, das er mit gesanglicher Unterstützung des ganzen Theatersaals in allen neun Strophen mit seinem großartigen Projektorchester darbot.

Mit Fotos von Ralf Deinl wurde das Bühnenbild zu den einzelnen Programmpunkten illustriert. Martina Bialas führte wieder charmant und etwas komödiantisch durch das Programm. Andreas Focks ehrte Tobias Dalhof für 20 Jahre als Dirigent von Akkordeonorchestern und für 30 Jahre als aktiver Spieler in Akkordeonorchestern im Namen des Deutschen Harmonika-Verbandes.

Das nächste Projekt steht schon fest: "ArtAccA Fantasy – Drachen, Hexen und andere Wesen", und auch das Theater Marl ist für den 23. Februar 2025 um 16 Uhr gebucht. Die Probenphasen am Wochenende sind auch schon durchgeplant: 20.04. – 21.04.2024 im Leohaus Olfen, 27.07. – 28.07.2024  und 24.08. – 25.08.2024 im Musikbildungszentrum Südwestfalen Bad Fredeburg,  26.10. – 27.10.2024 und 18.01. – 19.01.2025 wieder im Leohaus Olfen. Ambitionierte Akkordeonspielerinnen und -spieler sind zur Mitwirkung eingeladen.

LeserReporter/in:

Anita Brandtstäter aus Köln

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