Psychisch gesund durch die Pandemie
LI im Gespräch mit Chefarzt Dr. Christoph Florange

Dr. Christoph Florange | Foto: Klinik Wersbach

Ein gefährliches Virus hat das Leben vieler Menschen auf den Kopf
gestellt. Die unsichtbare Bedrohung durch Covid 19 weckt Ängste und
Sorgen. Auflagen und Einschränkungen verändern den Alltag. Dr. med.
Christoph Florange, Chefarzt der Klinik Wersbach, spricht über die
Folgen für die Psyche und für den Klinikalltag. Er macht aber auch
Mut, indem er Tipps fürs „Seelenheil“ gibt.Dr. Florange auf den
Lockdown folgte der harte Shutdown, der uns noch mehr Einschränkungen
und Verzicht auf Kontakte abverlangt. Was macht das mit unserer
Psyche? Dr. Christoph Florange: Prinzipiell müssen wir unterscheiden
zwischen den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesunde Menschen
einerseits und auf psychisch kranke Menschen andererseits. Bei
Gesunden ist vermehrt mit Sorgen um die eigene Gesundheit zu rechnen.
Sich sozial zu isolieren, ist außerdem schlecht für die Psyche, denn
der Mensch ist ein soziales Wesen. Aus der Isolation können
Schlafstörungen oder gar depressive Verstimmungen erwachsen.
Außerdem nehmen oft Konflikte und Spannungen zu. Es gibt auch
Menschen, die aufgrund der Pandemie-Situation psychisch krank werden.
Des Weiteren können Menschen, die bereits psychisch krank waren,
unter Umständen erneut erkranken. Oder psychisch Kranke bauen das,
was ihnen die Pandemie an Schwierigkeiten beschert, in ihre Erkrankung
mit ein. Es wird beobachtet, dass einige hypochondrische Tendenzen
haben oder sogar Wahnvorstellungen entwickeln. Außerdem fallen
aufgrund der von der Regierung verhängten Ausgangsbeschränkungen und
Schließungen zum Beispiel von Freizeiteinrichtungen die
Tagesstrukturen weg, die bei psychisch Kranken sehr haltgebend sind,
so dass sie derzeit viel mehr Probleme haben. Die Pandemie weckt
Ängste, drückt auf die Stimmung, belastet die Psyche. Was bewegt
sich im Normalbereich und bei welchen Problemen braucht man
professionelle Hilfe? Kann man das an bestimmten Alarmzeichen
festmachen? Dr. Florange: Man kann davon ausgehen, dass Isolations-
und Quarantänemaßnahmen zu psychischen Erkrankungen beitragen
können. Alkohol- und Drogenmissbrauch, Depressionen, Auffälligkeiten
im Sozialverhalten, höhere Reizbarkeit und Aggressivität bis hin zu
Gewalttaten können auftreten. Angstzustände nehmen sicherlich zu.
Lang anhaltender Stress kann auf die Dauer auch zu psychischen
Störungen wie Depressionen führen. Wenn Schlafstörungen, Sorgen,
Grübeleien aber den Alltag massiv bestimmen, dann wäre es Zeit, sich
professionelle Hilfe zu holen. Insgesamt gehe ich davon aus, dass das
Pandemiegeschehen zu einem Anstieg der psychischen Erkrankungen
geführt hat. Daher gibt es in den Kliniken mehr Neuaufnahmen oder
Wiederaufnahmen. Wo holt man sich Hilfe, wenn man das Gefühl hat,
dass eine Depression droht? Dr. Florange: Betreffende können sich an
niedergelassene Ärzte, eine psychosoziale Beratungsstelle oder an die
entsprechenden Institutsambulanzen der Kliniken wenden. Die ambulante
Psychotherapie läuft im Übrigen ja weiter. Allerdings gab es schon
vor der Pandemie für Hilfesuchende Wartezeiten. Einige Menschen
kommen mit der derzeitigen Situation gut klar und entdecken das
Wandern oder Stricken. Haben Sie ein paar Tipps fürs Seelenheil? Wie
schöpft man Kraft und tankt Zuversicht?Dr. Florange: Man sollte drauf
achten, das körperliche und seelische Wohlbefinden durch ausreichend
Schlaf, gesunde Ernährung und Bewegung zu stärken. Prinzipiell sind
gut: Entschleunigung, Achtsamkeit, Abschalten, das heißt auch, den
Medienkonsum zu reduzieren. Man kann etwas in der Wohnung machen,
Ordnung schaffen, Fotos sortieren, Dinge, die man gerne auf die lange
Bank schiebt, erledigen wie die Steuererklärung machen. Man kann
Kontakte über die elektronischen Medien wie Skype, WhatsApp, Facetime
pflegen, sich mit Freunden und Verwandten über Ängste und Sorgen
austauschen oder all das in ein Tagebuch schreiben. Ich gehe davon
aus, dass man sich in den Familien prinzipiell über das Virus
austauscht und dies auch den Kindern vermittelt. Wenn man sich über
das Covid 19 informieren möchte, dann sollte man seriöse Quellen
nutzen. Vorsicht geboten ist bei Fake-News und bei Aussagen von
Verschwörungstheoretikern. Ein paar praktische Tipps: Das Gefühl der
Sicherheit vermittelt auch die Beachtung der AHA-Regeln, also
Handdesinfektion, Abstand halten, Maske tragen. Es ist gut, sein
Immunsystem durch die richtige Ernährung zu stärken, besonders
Vitamin C-haltige Produkte wie Obst zu essen. Auch selber zu kochen,
ist gut. Spazieren und Joggen sind sicherlich ratsam. Gehen Sie in den
Garten, um zu arbeiten. Frische Luft ist wichtig. Das ist viel
Positives, an das man sich klammern kann.Dr. Florange: Positiv ist
nicht zuletzt, dass mit der Zulassung des ersten Impfstoffes und mit
den begonnenen Impfungen Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist.
Allerdings wird sich das Prozedere über mehrere Monate hinziehen. Ich
gehe davon aus, dass uns die Lockdown-Problematik noch bis zumindest
März beschäftigen wird. Eine merkliche Besserung wird erst im Sommer
eintreten. Was bedeuten die Einschränkungen und Regeln für die
Behandlung der psychisch Erkrankten? Dr. Florange: Wir können derzeit
nicht mit den Therapien weitermachen, die wir sonst gewählt haben.
Die Versorgung der Patienten ist insgesamt nicht mehr so einfach. Der
Zugang zu den Einrichtungen ist erschwert, in der Tagesklinik können
Patienten nicht so ohne weiteres aufgenommen werden. Einige
Tageskliniken sind bereits geschlossen, andere haben hohe Hürden vor
einer Aufnahme geschaffen. Auch werden in manchen Einrichtungen einige
Menschen zunächst einmal isoliert, um zu schauen, ob Symptome
auftreten, bevor sie in die Therapien gehen. Was sind die Alternativen
zu den sonst praktizierten Therapien?Dr. Florange: Man kann auf
moderne Medien ausweichen und Videosprechstunden anbieten. Das sind
Möglichkeiten, die während der Pandemie vermehrt genutzt werden.
Diese Alternativen sind unterschiedlich in ihren Wirkweisen, weil es
dabei auch unterschiedliche Instrumente gibt. Sie mögen gut und
solide sein wie eine kontrollierte Intervention, die man auch am PC
machen kann. Aber man weiß nicht, wie wirksam und nachhaltig sie
sind. Für Patienten ist es zunächst schwierig, über eine Maschine
mit einem Menschen zu sprechen, den er nicht persönlich kennt. So
kann es problematisch sein, eine Beziehung aufzubauen. Es fällt
generell leichter, wenn man von jemandem in einem persönlichen
Kontakt schon einen Eindruck gewonnen hat. Die Arbeit am Menschen ist
also für Sie, für die behandelnden Ärzte und Therapeuten deutlich
schwieriger geworden? Dr. Florange: Die Bedingungen sind schwieriger
geworden. Wir machen verstärkt Online-Interventionen, die wir schon
seit 2013 praktizieren. Außerdem haben wir Erfahrungen mit
Online-Therapien. Das ersetzt natürlich nicht, was wir in der Regel
machen. Zum Beispiel können wir Expositionsübungen derzeit nicht
mehr praktizieren. Ein Beispiel: Wenn jemand Platzangst hat, könnte
man ihn bei einer Expositionsbehandlung begleiten, das heißt, dass
man zum Beispiel gemeinsam auf einen Weihnachtsmarkt geht. Derzeit
sind die Plätze leer. Wir können den Patienten also nicht mit seinen
Ängsten oder seiner Panik, die sich auf einem gut gefüllten Platz
zeigen würde, konfrontieren. Da fehlt uns ein therapeutisches
Instrumentarium. Außerdem fehlt – bis auf wenige Ausnahmen - die
Möglichkeit von Belastungserprobungen an Wochenenden und Feiertagen.
Diese haben wir vor der Pandemie gerne genutzt, damit die Patienten
das, was sie im Verlaufe der Therapie in der Woche erarbeitet haben,
am Wochenende in ihrer häuslichen Umgebung einüben. Unterm Strich
macht das Pandemie-Geschehen unsere Arbeit nicht leichter. Das Fazit:
Die Kliniken haben ihr Angebot in der psychiatrischen Versorgung
reduziert.

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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