BENNEMANNs BLOG
Ich hab’s passend

Schon verrückt, die heutige Zeit! Während ich so was von stolz bin, dass ich mittlerweile bei meinem Lieblingsdiscounter ganz ohne Betreuung, ganz ohne Hilfe mit Karte bezahlen kann. Wobei, ich bin ehrlich, während ich meine Waren aufs Band lege, fange ich schon an, meine Pin im Geiste aufzusagen. Weil, die Panik, dass ich da stehe, mit vollem Einkaufskorb und meine Pin vergessen habe: Trotz Verhaltenstherapie immer noch ein Albtraum! Ja, ich kann zwar mit Karte bezahlen, aber oft bezahle ich auch mit Scheinen und Münzen. Weil, gerade jetzt im Alter, so was von Gehirntraining! Beispiel: Ich muss 11,24 Euro bezahlen. Dann ist die Herausforderung, in Windeseile zu schauen, ob ich 4 Cent zusammenkriege, also so viel wie möglich Kupfergeld loswerde. Dann 20 Cent … Ist dir früher nicht aufgefallen, dass Männer ganz häufig einfach nur einen Schein hinlegten? Was glaubst du wohl, warum? Ich stelle mich jedenfalls ganz bewusst dieser Situation und komme da auch öfters in Schweiß, wenn ich feststelle, dass kleingeldtechnisch die Sache nicht passt, ich also alles wieder einräumen muss, um dann doch einen großen Schein hinzulegen. Und, wohlgemerkt, die Herausforderung ist, schneller zu sein, als der alte Mann, der erst sein Portmonee (hallo, da krieg ich Pickel, wenn ich diese Art der Rechtschreibung sehe. Zu meiner Zeit hast du Portemonnaie geschrieben) zückt (wobei das Wort zücken ja eigentlich eine gewisse Schnelligkeit impliziert), wenn das Kassierende ihm den zu zahlenden Betrag nennt.

Was ja das Tolle bei diesem Thema ist, die jungen Leute haben das Bargeld ja auch so was von wieder entdeckt. Schau, so liest es sich im Internet: TikTok-Trend "Cash Stuffing" - Das Comeback des Sparstrumpfs, Bargeld ist im Trend. Auf TikTok verteilen Influencer Scheine in Umschlägen für verschiedene Zwecke. Mit dem "Cash Stuffing" wollen junge Menschen ihre Finanzen in den Griff bekommen. "Cash Stuffing" bedeutet übersetzt "Bargeld stopfen". Genau das tut Regina Feist aus Homberg als "Budget_Gina" regelmäßig in ihren TikTok-Videos. Die 30-jährige Nordhessin hat jedes Mal etliche Banknoten vor sich liegen. Die stopft sie in diverse Umschläge aus Klarsichtfolie. Besser gesagt, verteilt sie die Scheine so routiniert wie eine Bankerin. Die Umschläge tragen dabei Aufschriften wie "Wohnung", "Freizeit", "Geschenke" und "Kind". Beim Einkaufen bedient sich die Influencerin entsprechend, das Wechselgeld wandert wieder zurück. Die Umschläge stecken in einem liebevoll gestalteten Budget-Planer. Es ist eine Art modernes Haushaltsbuch, in das Frau Feist alle Einnahmen und Ausgaben einträgt. Am Ende eines jeden Monats macht sie Kassensturz. "Anschließend überlege ich mir immer wieder neu, wie ich mein Budget für den nächsten Monat auf die Umschläge verteile und welche Kategorien ich brauche", erklärt die Influencerin. Ganz wichtig ist der Umschlag "Ungeplantes". An den geht Feist, wenn ihre Finanzplanung einmal nicht aufgehen sollte. Aber tatsächlich konnte sie im Gegenteil im vergangenen halben Jahr einiges Geld beiseite legen - insgesamt 5000 Euro. "Ich habe wirklich die Übersicht über alles und weiß, wo ich das Geld ausgegeben habe", sagt Regina Feist. "Dann kann ich alle meine Ausgaben besser reflektieren und es das nächste Mal besser machen." Die junge Mutter spart auch ganz gezielt, etwa für den Urlaub und die Taufe ihres Sohnes im Sommer. Mittlerweile spart sie aber nicht nur, sondern verdient mit ihren Spartipps noch Geld, indem sie ihren Followern das zum Sparen nötige Zubehör auf ihrer Webseite zum Kauf anbietet. So ist das "Cash Stuffing" für viele vor allem weibliche Influencerinnen mittlerweile ein einträgliches Geschäft.

Katharina Lawrence von der Verbraucherzentrale Hessen findet es gut, wenn Jugendliche ihre Finanzen wortwörtlich im Griff haben wollen und dabei das Bargeld für sich neu entdecken. Denn eine Karte halte man schnell irgendwo hin, Münzen und Scheine gebe man nicht so schnell weg. "Sie haben dann mehr Hemmungen, das erzeugt einen regelrechten Schmerz", so Lawrence. Neu ist die Sparmethode in ihren Augen allerdings keineswegs, schließlich hätten schon Generationen Sparstrümpfe, Spardosen, Sparschweine und tatsächlich auch Umschläge fürs Sparen genutzt. Wie aus der Zeit gefallen? In einer Zeit, in der in Deutschland die ersten Restaurants, Hotels und Geschäfte gar kein Bargeld mehr akzeptieren, wirkt "Cash Stuffing" wie ein Gegentrend. Bargeld erfährt dadurch eine ganz neue Wertschätzung, nachdem es in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren hat. Du siehst, Hauptsache TikTok, Hauptsache neues Wort, Hauptsache Englisch, Hauptsache Influencer – und schon ist ein neuer (uralter) Trend geboren.

Wo war ich? Ach ja, an der Kasse meines Lieblingsdiscounters. Genau. Ich stehe also an der Kasse. Ich kann es immer noch nicht fassen! Ich bin immer noch – wie sagt man heute – ich bin immer noch total geflasht. Ein Husarenstück, was ich mir da geleistet habe. Tolldreist geradezu! Ja, ich hatte davon schon immer mal gehört. Dass mittlerweile viele Menschen ohne mit der Wimper zu zucken so etwas machen. Aber, bitteschön, für mich kam so etwas doch nicht in Betracht! Ich hatte sämtliche Waren auf das Band gewuchtet. Immer noch mit mir ringend, ob bar oder mit Karte. Deshalb zur Sicherheit die Pin leise vor mich hinmurmelnd. Hatte dann meinen Einkauf wieder vom Band in meinen Einkaufskorb gewuchtet und mich im letzten Moment für Kartenzahlung entschieden. Zugegebenermaßen erst in allerletzter Sekunde, als das Kassierende mich fragte:“ Bar oder mit Karte?“ Und dann, kennst du doch auch. Einmal etwas ganz Verwegenes tun, Spontanes, etwas, von dem du genau weißt, dass du dich später fragen könntest, ob du es nicht doch lieber hättest lassen sollen. Ich kann es bis heute noch nicht glauben. Dieser Rauschzustand, in dem ich mich befand, als ich meinen Lieblingsdiscounter verließ. Ach, was sage ich, hinaus schwebte, flog. Ich weiß gar nicht, wie ich durch die Tür. Ja, ich hatte es gewagt, beim Hineinschieben der Karte hatte ich gesagt: “Und dann möchte ich noch 200 Euro abheben.“

Was waren das damals - vor gar nicht mal so langer Zeit - für Zeiten. Als eine Karte noch eine Ansichtskarte war und ich nach einem Einkauf weniger Bargeld im Portemonnaie hatte als vorher!

LeserReporter/in:

Adelheid Bennemann aus Bonn

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