FC-Fan trotzt schwerer Krankheit
„So unglaublich nah dran“

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Siegmund D. leidet an einer seltenen Nervenkrankheit und wird künstlich beatmet. Trotzdem konnte dem Bergisch Gladbacher ein großer Wunsch erfüllt werden: ein Stadionbesuch bei seinem Lieblingsverein.

Als Torjäger Anthony Modeste sich in der 86. Minute von seinem Gegenspieler löst und den Ball unhaltbar für den 1. FC Köln ins lange Eck köpft, explodiert das RheinEnergie-Stadion. Knapp 50.000 Fans schreien und klatschen ohrenbetäubend. Der kaum noch für möglich gehaltene Ausgleich an diesem Novemberabend gegen Union Berlin sorgt auch bei Siegmund D. für große Freude. Der 66-Jährige sitzt mit leuchtenden Augen in seinem Rollstuhl am Spielfeldrand und genießt gemeinsam mit seiner Frau Brunhilde still den Moment. Aufspringen und die Arme hochreißen wie die vielen Fans um ihn herum, kann der früher so vitale Ingenieur nicht mehr. Auch lauthals Anfeuern ist für D. nicht möglich. Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) lautet die Diagnose, mit der er seit fast drei Jahren leben muss. Die seltene Nervenkrankheit führt zu einer fortschreitenden Schwächung der Muskulatur und raubt ihm regelrecht den Atem. Eine Maschine sorgt ständig dafür, dass ihm nicht die Luft ausgeht. Ein Besuch bei seinem Lieblingsverein ist deshalb mit vielen Schwierigkeiten verbunden, gerade in Corona-Zeiten.

„Ich hatte so meine Bedenken, dass es überhaupt klappt. Das war bis wenige Tage vorher noch völlig unklar. Und dann waren wir doch so unglaublich nah dran“, blickt D. einige Wochen später am heimischen Wohnzimmertisch in Frankenforst zurück. Zwar erklärten sich zwei behandelnde Ärzte und Pfleger Mecit bereit, ihn auf seinen Ausflug nach Müngersdorf zu begleiten, herausfordernd gestaltete sich jedoch die Transportfrage.

Platzt der Spielbesuch noch?

„Über unsere Hausärztin erfuhren wir vom ASB-Wünschewagen und fragten dann auch gleich an, ob man uns dabei unterstützen wolle“, erzählt Ehefrau Brunhilde Claaßen, die schon im August mit der Organisation des Spielbesuchs begonnen hatte. Der Spieltag rückte näher, doch irgendwann kam heraus: Der Wünschewagen ist technisch nicht für den Transport von Beatmungspatienten ausgelegt, außerdem war Herr D. Spezialrollstuhl zu groß. Das Fußball-Highlight drohte doch noch ohne ihn stattzufinden. „Die ASB Bergisch Land-Geschäftsführerin Frau Paweldyk erklärte das dann zur Chefsache und organisierte gleich zwei Fahrzeuge, die sowohl meinen Mann als auch das nötige Equipment transportieren konnten“, berichtet die praktizierende Psychotherapeutin, wie das Problem kurz vor knapp noch gelöst werden konnte. Sven Niederau, Leiter der Rettungswache Burscheid, und Marko Berster, Mitarbeiter des Fahrdienstes in Bergisch Gladbach, besuchten das Ehepaar gemeinsam in Frankenforst und planten minutiös den Ablauf für den großen Tag.

Sorgfältige Vorbereitung fürs Gelingen

Welche Maße hat der Spezialrollstuhl? Gibt es eine Rampe im Eingangsbereich? Wie wird das Beatmungsgerät im Fahrzeug fixiert? Wir haben uns die Begebenheiten vor Ort genau angeschaut und danach unsere Planung für Herrn D.s großen Tag ausgerichtet“, sagt Berster, selbst glühender FC-Fan und regelmäßig als Begleiter von Rollstuhlfahrern bei den Spielen dabei. „Denn jede Fahrt ist anders. Eine Routine gibt es da nie“. „Nach Rücksprache mit dem Verein konnten wir mit den Fahrzeugen gleich bis unmittelbar ans Stadion heranfahren“, ergänzt Sven Niederau. Das sei normalerweise so nicht üblich, aber diesmal deshalb wichtig gewesen, um im Notfall schnell Zugang zu Herrn D. zu bekommen und mit ihm ins nächstgelegene Krankenhaus fahren zu können, so Niederau.

Doch alles verlief reibungslos an diesem Tag. In Not war über weite Phasen einzig der FC, der gegen starke Hauptstädter lange wie der sichere Verlierer aussah – bis der französische Starstürmer mal wieder zuschlug. Ein ganz besonderes Spiel war das jedoch nicht nur für Siegmund D. Hannah Schäfer war aufseiten des Clubs mit der Betreuung betraut. Schäfer ist für die Stiftung 1.FC Köln tätig. Der Verein bündelt sein vielfältiges soziales Engagement in der FC-Stiftung. Mit dieser Einrichtung bündelt der Verein sein vielfältiges soziales Engagement und setzt sich gezielt für Menschen ein, die gesellschaftlich im Abseits stehen. „Wir möchten besonders den Menschen etwas zurückgeben, die auf Hilfe angewiesen sind. Als Frau Claaßen auf uns zukam, haben wir gleich gesagt: Wir kriegen das irgendwie hin, dass ihr Mann noch einmal zum FC kann“. Nicht nur das: ein Trikot mit allen Spieler-Unterschriften besorgte sie dem FC-Fan und überreichte es ihm vor dem Anpfiff. "Ein gerahmter Ehrenplatz im Wohnzimmer ist dem Jersey sicher", sagt D. sichtlich gerührt.

Berlin, Berlin, fahren wir nach Berlin?

Weil das alles so gut funktioniert hat und man immer Ziele im Leben braucht, drückt er seinem FC besonders im DFB-Pokal die Daumen. „Das Finale in Berlin im Mai wäre nochmal ein Traum. Da würde ich alles dransetzen, um dabei zu sein.“

LeserReporter/in:

Marco Wehr aus Bergisch Gladbach

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