"Mein Ziel war es, in Frieden zu leben"
Hashi Bashir Askar schreibt Buch

Jörg Pannenbäcker (links) und Hashi Bashir Askar lasen aus ihrem Buch „Geschichte meiner Flucht“ an der Gesamtschule Rodenkirchen. | Foto: Kellner
  • Jörg Pannenbäcker (links) und Hashi Bashir Askar lasen aus ihrem Buch „Geschichte meiner Flucht“ an der Gesamtschule Rodenkirchen.
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Rodenkirchen - (nk). Erneut sind Menschen auf ihrer Flucht über das Meer
ertrunken. Das ist eine Nachricht, die bereits zu unserem Alltag
gehört und an die wir uns  gewöhnt haben, so dass sie nicht mehr
schockiert. Nur kurz, wenn ein Bild eines ertrunkenen und an den
Strand gespülten Kleinkindes im Internet herumgeht, sehen wir wieder
hin. Oder, wenn der 24-jährige Hashi Bashir Askar uns gegenüber
sitzt und von seiner Flucht sowie seinem Leben davor und danach
berichtet.

Jörg Pannenbäcker, Pädagoge und Therapeut für systematische
Lösungen und Entwicklungen, lernte 2015 Hashi Bashir Askar während
einer Veranstaltung von Amnesty International kennen. Eineinhalb Jahre
lang trafen die beiden sich, woraus das Buch „Geschichte meiner
Flucht“ entstanden ist. „Es war sehr emotional für Hashi Bashir
Askar, über seine Erlebnisse zu sprechen“, erklärte Jörg
Pannenbäcker die lange Zeitspanne, in der die Treffen mit
regelmäßigen Pausen stattfanden. Und nun kamen sie beide, um in der
Gesamtschule Rodenkirchen Ausschnitte aus ihrem Buch vorzulesen und
Schülern, Lehrern sowie dem Publikum Fragen zu beantworten.

Hashi Bashir Askar kommt ursprünglich aus der Stadt Marka in
Somalia, die 70 Kilometer von der Hauptstadt Mogadischu entfernt
liegt. An 29 Orten war er auf seiner jahrelangen Flucht durch Afrika
und Europa unterwegs. Schon seine ersten Erfahrungen in seinem Leben
unterscheiden sich stark von den Erfahrungen der meisten Kinder in
Deutschland. Hashi Bashir Askars Geschwister sind bereits als
Kleinkinder gestorben, und auch bei Hashi Bashir Askar glaubten die
Eltern, dass er nicht älter wird als vier Jahre. Sein Vater starb, da
war Hashi Bashir Askar noch ein Kind. Die medizinische Versorgung war
in dem Bürgerkriegsland vielerorts gar nicht vorhanden. „Er war
wochenlang krank und dann starb er“, erinnert sich Hashi Bashir
Askar an seinen Vater. Der Hunger gehörte zum alltäglichen Leben.
Als die Mutter dann an Krebs erkrankte, wurde Hashi Bashir Askar zu
ihm unbekannten Verwandten geschickt. Nomaden, die ihn nicht gut
behandelten. 120 Kilometer sind sie zu Fuß von seinem Zuhause
gelaufen, Hashi Bashir Askar versuchte, sich den Weg zu merken, um
wieder zu seiner Mutter zu finden. Er war elf Jahre, als er mit
anderen Nomaden zurück in die Stadt fand und erfreulicherweise
feststellte, dass es seiner Mutter besser ging. Hashi Bashir Askar
erzählt von Koran-Schulen, die er besuchte und die „alle brutal
waren“. Er berichtete von Schlägen, dass ein Lehrer ihn gebissen
hat und mit einer Peitsche auf die Kinder einschlug. Eine „normale
Schule“ kostet Geld. Es gibt keine Schulpflicht in Somalia. Wer sich
eine Schule für seine Kinder nicht leisten kann, dessen Kinder gehen
nicht in die Schule. Viele Mädchen dürfen aus traditionellen
Rollenbildern heraus grundsätzlich keine Schule besuchen.

In einem Kino war es, als der „al-Dschihad“ ihn und andere Kinder
anwerben wollte. Sie versprachen ihm das Paradies, wenn er im
„heiligen Krieg“ mitkämpfte. Hashi Bashir Askar beschreibt sich
selbst als muslimisch, aber nicht streng religiös. Er wollte lieber
lernen, statt zu kämpfen. Während seines 14. Lebensjahrs kamen sie
jedoch nachts und nahmen ihn unter Zwang mit. Er kam in ein Lager,
indem er einer „Gehirnwäsche unterzogen wurde“. Auch wurde er
gefragt, ob er Selbstmordattentäter werden möchte. „Nach dem Gebet
haben sie uns Geschichten erzählt“, so Hashi Bashir Askar,
„danach waren sie alle bereit dazu.“

Er wusste, dass er einen Fluchtversuch mit dem Leben bezahlen müsste.
„Einen haben sie erschossen, ich habe es gesehen, wie er von hinten
erschossen worden ist.“ Doch Hashi Bashir Askar flüchtete und
schaffte es, dem „al-Dschihad“ zu entkommen. Deutschland oder
Europa waren dabei nicht sein Ziel, er hatte gar kein Ziel. „Ich
wollte nur Sicherheit, ich wollte in Frieden leben, ohne Hunger“,
das ist eine Aussage die Hashi Bashir Askar immer wieder an dem Abend
wiederholte. Doch bis dahin war es ein noch sehr langer Weg. Er
landete in einem UN-Lager, das eher einem Gefängnis glich. Er war
tagelang mit weiteren Menschen in einem Transporter, ohne
Toilettengänge, ohne Wasser. Nur trockene Bohnen schmiss der Fahrer
in den Anhänger. Er wurde krank, vermutlich Malaria, und konnte nicht
zum Arzt. Er saß im Gefängnis und in einem der vielen Boote, die
über das Meer die Freiheit suchen. „Was denkt man in solchen
Momenten, in denen man zum Beispiel in der Wüste sitzt und denkt, zu
verdursten“, fragten die Schüler. „Ich dachte, ich möchte in
genau diesem Moment jetzt sterben“, antwortete Hashi Bashir Askar.

Das Geld für die Flucht hatte er von einem Onkel in Kanada erhalten.
Irgendwann fiel der Motor des Bootes ab, in dem Hashi Bashir Askar mit
anderen Menschen saß. Keiner hatte es bemerkt. Sie trieben ziellos
auf dem Meer. Zwei Kleinkinder weinten ununterbrochen. Keiner von
ihnen konnte schwimmen, auch nicht die Mutter dieser Kinder. Sie
sprang schließlich, vermutlich im Wahn, über Bord und ertrank. Es
fuhren Schiffe vorbei, die sie sahen, aber ihnen nicht halfen. Dann
ein Helikopter und Stunden später ein Schiff der Marine, das sie
rettete.

2010 in Deutschland angekommen wurde er vom BAMF mehrmals
unterschiedlichen Städten zugewiesen, sein Asylantrag wurde
schließlich abgelehnt. In Dortmund zwang man ihn, eine Unterschrift
zu setzen. Aufgrund der mangelnden Sprachkenntnisse erfuhr er erst
später, dass er damit nur eine Duldung bekam, damit bis heute
jederzeit wieder abgeschoben werden kann, und nie mehr ein Anrecht auf
Asyl hat.

Daraufhin wurde er direkt mit der relativen Armut Deutschlands
konfrontiert. Denn eine Wohnung wollte ihm keiner geben. Als er
endlich eine findet, ohne Küche und mit Toilettenmitbenutzung,
toleriert das JobCenter die Elektroheizung nicht. Aufgrund der Kosten
verlor er die Wohnung wieder und schlief in einem Obdachlosenheim.
Dann begegnete ihm ein deutsches Paar, das ihn bei sich einziehen
ließ. „Ich wollte niemandem zur Last fallen, doch meine deutsche
Mutter gab nicht auf“, berichtete Hashi Bashir Askar, der
mittlerweile die Schule mit der Fachoberschulreife abgeschlossen hat
und zurzeit sein Fach-Abitur macht. „Danach möchte ich eine
Ausbildung machen oder studieren“, wünscht sich Hashi Bashir Askar,
der in der deutschen Familie plötzlich „gezwungen war“ Deutsch zu
sprechen und sich mittlerweile sehr gut in der neu erlernten Sprache
unterhalten kann. Hashi Bashir Askar hat das Gefühl „angekommen zu
sein“, doch auch quält ihn ein schlechtes Gewissen, seine Mutter
zurückgelassen zu haben. „Ich habe Gesundheit, Essen, Bildung und
Frieden, sie hat das alles nicht“, so Hashi Bashir Askar. Und auch
für ihn bleibt es unsicher, ob er das alles behalten darf.

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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