„Wir haben etwas bewirkt“
Die Niehler Willkommenskultur (Wiku) hat Vorbildcharakter

Andrea Pulm, Sabine Broermann, Susi Lux, Elise Schirrmacher, Heike Schmitz-Knuf, Charly Broermann, Anja Groß (v.l.) sowie vorne Tansy Tazewell (r.) und Michael Dobiat trafen sich zum Stammtisch, um sich über die Alltagsprobleme nicht nur ihrer Schützlinge auszutasuchen. | Foto: Robels
  • Andrea Pulm, Sabine Broermann, Susi Lux, Elise Schirrmacher, Heike Schmitz-Knuf, Charly Broermann, Anja Groß (v.l.) sowie vorne Tansy Tazewell (r.) und Michael Dobiat trafen sich zum Stammtisch, um sich über die Alltagsprobleme nicht nur ihrer Schützlinge auszutasuchen.
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Niehl - (sr). Wenn sich heute in lockerer Atmosphäre zehn bis 20 Niehler
zum Wiku-Stammtisch im Linkewitz treffen, geht es um eine Wohnung für
Ibrahim oder den Familiennachzug eines Jesiden.

Begonnen hat alles Anfang 2016 mit 85 Männern, die als Asylsuchende
in der Turnhalle der Grundschule einzogen, und mit rund 70 Helfern,
die sich aktiv einmischten und halfen, anstatt zu meckern und Panik zu
verbreiten. Das hat in Niehl vorbildlich geklappt. Ob Sportverein,
Kirche, Schule, ob Lehrer, Rechtsanwaltsgehilfe oder Fußballtrainer,
eine große Hilfsgemeinschaft hat sich zusammengefunden. Rund 485
Männer aus 17 Nationen waren in 1,5 Jahren mehr oder weniger
kurzfristig in der Turnhalle untergebracht. Die Niehler gaben
Deutschunterricht, kickten mit den Flüchtlingen auf dem Fußballplatz
oder luden sie ein zu einer Radtour an die Mosel. Und sie halfen
denen, die es wollten, beim Umgang mit der deutschen Bürokratie oder
beim Arztbesuch. Rund 40 Prozent der 485 hätten die Angebote
angenommen, schätzen die engagierten Helfer. Der Unterricht sei eine
Herausforderung gewesen. Sowohl Studenten als auch Analphabeten kamen
zum Lernen zusammen. Viele konnten in Praktika vermittelt werden, die
Arbeitgeber seien fast immer begeistert gewesen.
Die Turnhalle ist seit September wieder leer. Geblieben sind
Freundschaften und Patenschaften. Jeder in der Helfergruppe kümmert
sich um den einen oder anderen Schützling aus Guinea, Ghana, Nigeria,
dem arabischen Raum oder von wo die Menschen sonst kommen, um hier
Sicherheit und/oder eine Zukunft zu finden.
Die Themen am Stammtisch sind vielschichtig. Da wird von einem Fall
eines Schützlings erzählt, der so traumatisiert sei, dass ihm
niemand richtig helfen kann. Ein anderer arbeitet im Altenheim. Der
junge Mann aus Guinea sei so beliebt, dass weder Kollegen noch
Patienten ihn wieder gehen lassen wollen, erzählen Charly und Sabine
Broermann. Er komme prima mit der deutschen Mentalität,
Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit klar.
Die wahrscheinlich größte Hürde für die Geflüchteten sei die
Bürokratie, auch Bermuda-Dreieck genannt. Irgendwie kämen
Ablehnungsbescheide oder Termine für Anhörungen in Dortmund oder
einer anderen Stadt immer freitags, erzählen Andrea Pulm und Susi
Lux. Und spannend wird es auch, wenn Formulare ausgefüllt werden
müssen. Dabei helfe weder ein Germanistikstudium noch langjährige
Berufserfahrung als Lehrerin. Lediglich Andrea Pulm gehe das
Ausfüllen leicht von der Hand. „Ich bin Rechtsanwaltsgehilfin“,
gesteht sie. Und wie kommt man mit der Bahn von Niehl mal eben zu
einer Anhörung nach Dortmund oder Bielefeld? Als Einheimischer kriegt
man das vielleicht irgendwie hin. Aber wie schaffen das Fremde? Deren
Geduld und Fähigkeit, sich in einem fremden Land mit lauter Menschen
aus anderen Kulturkreisen in einem Schlafraum durchzubeißen, gegen
Vorurteile anzukämpfen und sich nicht unterkriegen zu lassen,
bewundern alle am Stammtisch der Wiku. Auch einig sind sich alle, dass
die Zeit eine Bereicherung für sie war und ist. Denn auch die 70
Helfer hätten sich vorher größtenteils untereinander nicht gekannt,
obwohl alle aus dem gleichen Ort stammen. „Wir haben etwas
bewirkt“, da sind sich alle einig.

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RAG - Redaktion

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