Kling, Glöckchen, kling!
Schon mal im völligen Dunkel Tennis gespielt?

Akustische Fehleinschätzung: ­Michael hört mir zu, wie ich am Ball vorbei schlage. | Foto: Peter Worms / Gold-Kraemer-Stiftung
  • Akustische Fehleinschätzung: ­Michael hört mir zu, wie ich am Ball vorbei schlage.
  • Foto: Peter Worms / Gold-Kraemer-Stiftung
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Köln - Ich sehe nichts mehr, nur Schwarz. Ich halte den Tennisschläger in
der Hand und konzentriere mich voll auf meine Ohren. „Kling“ –
Ich versuche, den Ball im dunklen Nichts zu orten. „Kling“,
„Kling“ - Da müsste er sein. Ich schlage – vorbei –
„Kling“, „Kling“, „Klingelingelingeling“. So hören sich
meine ersten Versuche im Blindentennis an!

Doch der Reihe nach. Nachdem
ich die beiden Asse im Blindentennis, Katharina Kühnlein und Michael
Wahl, am Kölner Trainingsstandort des Projekts „Tennis für Alle“
der Gold-Kraemer-Stiftung in Weiden (Kronstädter Straße)
kennengelernt habe
, will ich es selbst versuchen. Wie fühlt
sich das an, wenn man den Ball nicht mehr sehen kann, sondern hören
muss. Trainerin Alena Höfken überreicht mir lächelnd die schwarze
Schlafbrille und sagt: „Tja, dann orientier Dich noch mal, und dann
geht´s los!“ Gesagt, getan. Ich schaue mich noch mal kurz um,
schließe dann die Augen, setze die Brille auf und es wird schwarz.
Nur das Restlicht flimmert noch im Dunkel vor meinen Augen. Ab sofort
muss ich mich auf mein Gehör verlassen. Das, was ich nun höre, nehme
ich plötzlich deutlich konzentrierter wahr als zuvor: Tennisbälle,
die geschlagen werden oder aufspringen, und die Traineranweisungen von
den Nachbarplätzen. Für mich sind das allerdings nun alles
Störgeräusche. Ich versuche, sie so gut es geht auszublenden. Denn
ich höre auf ein leicht gedämpftes Klingeln – die
Grundvoraussetzung für Blindentennis! Das Spiel bleibt möglichst nah
am Original, wird aber auf einem kleineren, angepassten Feld und mit
Softbällen gespielt, in denen kleine Glöckchen klingeln. Je nach
Grad der visuellen Beeinträchtigung dürfen die Bälle zwei- oder
dreimal „auftitschen“. Da ich nun gar nichts mehr sehe, drei Mal.

Nach Gehör räumlich orientieren

Aber zuerst wird ohne Schläger geübt. Alena rollt Michael und mir
zunächst die Bälle zu, danach wirft sie sie. Ich konzentriere mich
aufs Klingeln und merke ziemlich schnell, wie unglaublich schwer es
ist, mich nur noch auf mein Gehör verlassen zu müssen - vor allem
räumlich. Kling, Kling, Klingelingeling - Oft langen meine Hände ins
Leere und ich ärgere mich über das dann anhaltende Klingeln des
Balles, der irgendwo ganz nah an mir vorbei rollt oder fliegt. Aber es
wird schnell besser. Nach kurzer Zeit sagt Alena: „Jetzt holt Eure
Schläger.“ Ich suche im Dunkel die Stelle, an der ich den
Schläger, eben noch sehend, abgelegt habe. Das seitliche Fangnetz des
Platzes hilft. Ich nehme den Schläger in die Hand und drehe mir die
Schlagfläche zurecht. Und jetzt? Zurück zum Feld, aber wo beginnt
das? Ich gehe langsam zurück und versuche, mit meinen Füßen die
leicht erhöhten Linien zu erspüren. Ich trage nur noch Socken. Die
Schuhe habe ich ausgezogen, denn sonst kann ich die aufgeklebten
Linien gar nicht spüren. Da, da ist eine. Nun noch Richtung Mitte, da
ist die andere. Mein Fixpunkt für die nächsten Minuten. An dem muss
ich mich orientieren. Jetzt wird es ernst.

Mein Hörsinn ist überfordert

Alena kündigt immer an, wenn sie den Ball spielt. „Volker,
bereit?“ „Ja.“ „Okay, play!“ „Kling“, ich gehe
vorwärts, „Kling“, oh der Ball ist schon so nah? „Kling“. Den
kriege ich nicht. Und wieder höre ich „Kling, Kling,
Klingelingeling“… Ich ärgere mich über meine Fehleinschätzung.
Den nächsten Ball will ich unbedingt treffen! Doch zuerst muss ich
mich mit den Füßen wieder zu den Linien zurücktasten – das
dauert. Michael spielt derweil seinen Ball zu Alena zurück.
„Volker, ready?“ „Ja.“ „Play!“ „Kling“, die grobe
Richtung habe ich, „Kling“, okay, da muss er ungefähr sein,
„Kling“ ich schlage – getroffen! Ein sattes „Kling“ und dann
irgendwo im Dunkel hinten ein Kling, Kling, Kling… „Super, der
müsste sogar im Feld gewesen sein“, kommentiert Michael. Alena gibt
ihm Recht. „Was? Das hast Du gehört?“ Michael beeindruckt mich
schon wieder und spielt seinen Ball natürlich auch wieder zurück -
wie eigentlich fast immer. Ich bin wieder dran: Der nächste Ball
kommt, „Kling“, „Kling“, „Kling“ – vorbei, akustische
Fehlanzeige! Mein Hörsinn ist überfordert, kann den Ball nicht genau
orten. Die Enttäuschungen wechseln sich aber vermehrt mit
Erfolgserlebnissen ab. Ich kann mit Armreichweite und Schläger erste
Fehleinschätzungen des schwarzen Raums immer besser korrigieren. Aber
wenn ich den Ball treffe, kann ich kaum einschätzen, wohin ich ihn
geschlagen habe.

Ich scheitere kläglich am Aufschlag

Am Ende der Übung müssen wir die Bälle einsammeln. Alena rollt sie
zurück zum Netz, wo Michael und ich sie in die Balltonne räumen
sollen. Die nächste Herausforderung. Es klingelt überall, ganz nah
bei mir, und doch muss ich tasten und suchen und tasten.

Als nächstes werden Aufschläge geübt: „Das ist leicht“, sagt
Michael – aber nicht für mich. Ich werfe die Bälle, wie ich es
sehend gewohnt bin, hoch – und scheitere kläglich! Ich kann den
Ball nicht fallen hören, und mein Gefühl trügt mich nahezu
permanent. Das Klingeln, das ertönt, wenn der Ball vor, neben oder
leicht hinter mir auf den Boden titsch, macht mich wahnsinnig. Das
kann doch nicht so schwer sein. Erst der Tipp, den Ball fast aus der
Hand zu schlagen, hilft!

Jetzt versuchen wir ein kurzes Spiel. Ich habe Aufschlag und spiele
den Ball. Da höre ich Alena: „Denk dran, Du fragst ‚ready?‘,
dann gibt Michael das ‚Okay‘, Du sagst ‚play‘ und schlägst
erst dann auf!“ Das hatte ich vergessen. Auf ein Neues, aber: Alle
Aufschläge sind zu lang! Wie kurz ist denn das Spielfeld? „Weniger
Schwung!“ „Den Schlägerkopf weiter runter nehmen!“ Reicht immer
noch nicht: „zu lang“ – „zu lang“ – „zu lang“,
erklärt Alena ruhig - und rollt mir jeweils die Bälle für den
ersten und zweiten Aufschlag zu. Alleine das ist jedes Mal aufs Neue
eine Herausforderung - und kostet Zeit. Nach sechs Versuchen, das
Aufschlagfeld zu treffen, steht es 0:40! Aber dann: Ich treffe, sowohl
den Ball als auch das Feld. Wenn meine Aufschläge kommen, sind sie
gut, sagt Michael. Letztlich verliere ich mein Spiel aber, nachdem ich
mir noch den Einstand erkämpft hatte.

Respekt, sportlich wie menschlich

Jetzt hat Michael Aufschlag und ich glaube, ich kriege keinen einzigen
Ball returniert. Doch dann stoppt uns Alena. Die Stunde ist schon
vorbei. Ich nehme die Schlafmaske ab und blicke in kurzzeitig
gleißendes Licht. Meine Augen brauchen einen Moment, bis sie wieder
zur Normalität übergehen. Aber mir wird schnell klar, normal ist es
gar nicht. Ich schätze diese Gabe viel zu wenig.

Ich bin beeindruckt von Katharina und Michael. Nicht nur, weil sie mit
höchstem sportlichen Ehrgeiz Blindentennis spielen, sondern vielmehr,
weil sie mit ihrer Einschränkung nahezu uneingeschränkt positiv
durchs Leben gehen. Ich kann den Beiden nur höchsten Respekt zollen.

Während ich mit Alena meine Eindrücke Revue passieren lasse, macht
Michael sich noch schnell frisch. Ich nehme ihn noch mit zur Bahn. Wir
fahren zur Aachener Straße, zum alten RTL-Standort. Draußen ist es
schon dunkel und Michael weiß nicht genau, wo ich ihn rauslasse.
Zudem macht die Fußgängerampel bei Grün keine Geräusche. So ist es
für ihn nahezu unmöglich, ohne Risiko die Straße zu überqueren.
Während ich mich noch über diese Hürde für ihn ärgere und ihm
Bescheid sage, als es grün wird, marschiert er schon wieder
unbeeindruckt los. Er verabschiedet sich auf dem Weg, tastet mit
seinem Stock ins Dunkel und geht den Straßenbahnsteig hoch zum
kleinen Wartehäuschen.

Während ich mich wie selbstverständlich sehend umdrehe und
schnurstracks zum Auto bewege, wächst mein Respekt noch einmal. Es
ist wirklich unglaublich, wie sie ihre Situation meistern -
uneingeschränkt!

Redakteur/in:

Düster Volker aus Erftstadt

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