Wie die Kölner Freie Theaterszene den Lockdown nutzt
Hinter dem Vorhang geht´s weiter

- „Wir haben die innere Sicherheit, dass wir Corona überstehen werden“, geben sich Ruth (unten) und Georg zum Kley (oben) vom Kölner Künstler Theater zuversichtlich.
- Foto: Mielke
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Köln - (pm). Seit dem 1. November 2020 sind die Theater wieder
geschlossen. Keine Vorstellungen, kein Publikum in den Rängen. Doch
hinter den Kulissen herrscht keineswegs Stillstand. Dort wird geprobt,
gewerkelt und mit Hochdruck die Wiederöffnung vorbereitet. Der
Kölner Wochenspiegel hat einen Blick hinter die Kulissen der freien
Szene geworfen.
Pandemischer Stillstand herrscht nicht im Theater der Keller an
der Siegburger Straße. Jeden Tag wird hier an zwei aktuellen
Produktionen intensiv gearbeitet: an „Süßes Verzweifeln“, einer
Hommage an den 2011 verstorbenen Journalisten und
„Gesprächskünstler“ André Müller, sowie an „Heidi Höcke
steigt aus“, einer bitterbösen und hochaktuellen Satire über die
AfD. „Das ist ganz wichtig, dass wir probieren“, meint Heinz Simon
Keller. „Wir dürfen nicht stillgestellt werden.“
„Am Anfang war das Gefühl: Was passiert hier eigentlich?“,
beschreibt Guido Rademachers den Schock, als der erste Lockdown von
einem Moment auf den anderen den Spielbetrieb in „seinem“
Freien Werkstatt Theater (Zugweg 10) lahmlegte. Ein Jahr später
heißt es zwar schon wieder „derzeit keine Vorstellung“, aber in
dem Haus am Zugweg wird dennoch eifrig geprobt. Am 10. April sollte
„Die Lage“ Premiere haben, ein Stück über „den ganz normalen
Mietwahnsinn“, das mit vier Mitwirkenden auf der Bühne und zwei
neben der Bühne durchaus Corona-kompatibel ist. Frustrierend war die
Erfahrung, dass ein fertig geprobtes Stück über die Schriftstellerin
Ingeborg Bachmann nicht mehr vor Publikum gezeigt werden konnte. Fünf
oder sechs Stücke aus dem Repertoire warten darauf, wieder zur
Aufführung zu kommen. Gerade wurde außerdem die Technik neu
organisiert.
Seit 32 Jahren hat das Horizont Theater (Thürmchenswall 25)
seinen Platz in der Kölner Kulturszene – und das ohne feste
Subventionen. Mit einem Repertoire, das auf Klassiker von der
griechischen Antike bis Friedrich Dürrenmatt setzt und auch dem
Jugendtheater breiten Raum gibt. „Die Spielpläne habe ich
weggeworfen“, meint Theaterleiter Christos Nicopoulos. Schon das
Weihnachtsstück konnte nicht gespielt werden. Auch die Premiere von
„Der Fall des Hauses Usher“ nach Edgar Allen Poe musste mehrmals
verschoben werden. Momentan wird ein Ein-Personen-Stück geprobt, die
Umbesetzung eines Kinderstücks. Die finanzielle Lage des Hauses ist
sehr angespannt.
Im Cassiopeia Theater (Bergisch Gladbacher Straße 501) wird
der Lockdown für umfassende Instandsetzungsarbeiten genutzt. Seit
April 2020 wird das Haus Corona-konform umgebaut. Das Theatercafé
erhält Trennwände, eine leistungsfähige Sommer- und Winterlüftung
wird installiert. Dafür gab es Fördermittel, die allerdings sehr
spät ankamen. Ein neues Vordach (Portikus) könnte kreative
Nutzungsmöglichkeiten bieten. Da man auf chemische Desinfektion
verzichten möchte, werden Waschtische eingebaut, die kontaktlos
bedient werden können. Außerdem stand eine Grundwartung der
Bühnentechnik auf dem Programm. Regisseur und Theaterleiter Udo
Mierke befürchtet wirtschaftliche Probleme, wenn nur ein Bruchteil
der sonst üblichen etwa 120 Gäste das Theater besuchen dürfen.
Zudem müssen alle Stücke umgeschrieben werden, weil Szenen im
Publikum oder direkte Interaktion nicht mit den Coronaregeln vereinbar
sind. Ein Hörbuch ist in Arbeit und eventuell soll auch ein
Kinderbuch entstehen.
Auch im Kölner Künstler Theater (Grüner Weg 5), einem Haus
mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendtheater, wird mit Maske, Tests
und Abstand das Kinderstück „Lim und die Wundermaschine“ geprobt.
Außerdem ist eine neue Jugendproduktion zum Thema Gaming/ KI
(Arbeitstitel „Narzisse“) geplant, die nach der Sommerpause
Premiere haben soll. Dabei ist Ruth zum Kley der Kontakt zum Publikum
auch für ihre kreative Arbeit sehr wichtig: „Jedes Stück entsteht
immer wieder neu im Austausch mit dem Publikum“. Während des ersten
Lockdowns entstanden zahlreiche 8-15-minütige Youtube-Videos mit dem
„Zottel Mottel“, einem liebenswerten Fantasiewesen, das rasch die
Herzen der Kinder eroberte. Die aufführungsfreie Zeit bot aber auch
Gelegenheit zu Recherchearbeiten, kulturpolitischem Engagement oder
der Beschäftigung mit Wichtigem, dem „Innenauftrag“ des Theaters.
Ausgerechnet um Freundschaft geht es in „(R)ausgewischt“, dem
Stück an dem momentan im CaSAMAX Theater (Berrenrather Straße
177) geprobt wird. Eine ziemliche Herausforderung, das unter
Einhaltung der Corona-Abstandsregeln glaubhaft darzustellen. „Da
muss man sich als Theatermensch etwas einfallen lassen“, sagt Hille
Marks, die das Haus gemeinsam mit Ragna Kirck leitet. Als
„außerschulischer Lernort“ durfte das Casamax Theater auch
während des Lockdowns im November und Dezember noch
Schulvorstellungen anbieten, die sämtlich ausgebucht waren.
Sollte der Lockdown aufgehoben werden, steht das Comedia Theater
(Vodelstraße 4-8) in den Startlöchern. „Wir könnten am 20.
April loslegen“, meint Astrid Hage von der Presse und
Öffentlichkeitsarbeit. Geprobt wird momentan das Stück
„Wegklatschen“ für Jugendliche ab 13 Jahren. Außerdem sind
zunächst „Die Bremer Stadtmusikanten“, später ein weiteres
Kinderstück („Timeout“) kostenpflichtig online zu sehen.
Ungeachtet aller Unwägbarkeiten plant das Comedia-Team bereits das
Jahr 2022.
Das Theater im Bauturm (Aachener Straße 24) hat mit der
„Orestie“ einen „antiken Klassiker“ auf dem Spielplan –
zunächst online, sobald wie möglich auch analog. Das Stück passt
gut in die Zeit, findet Dramaturg René Michaelsen, geht es doch um
eine große Krisensituation und die Chance einer Neuordnung. In der
Krise sieht er auch die Möglichkeit, kleinere Projekte umzusetzen und
„outside the box“ zu denken. So entstand unter
Lockdown-Bedingungen der erste „hauseigene“ Theaterfilm „Das
Theater und sein Double“. Um den Filmbetrieb zu stärken, wurde
eigens das Equipment ausgebaut und für das Team ein
Filmschnitt-Workshop organisiert.
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Redakteur/in:RAG - Redaktion |
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