Im geheimen Depot
Blick hinter die Kulissen des LVR Landesmuseums

Foto: Harald Weller
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Bonn - Es muss schlimm sein: Man hat eine Unmenge an geschichtsträchtigen
Gegenständen und sakralen Ausgrabungsgegenständen, aber man kann sie
niemals alle zeigen. Im Depot des LVR-Museums Bonn lagern Steine und
Metalle, die allesamt Geschichte(n) erzählen. Die Lage des Depots ist
übrigens geheim. Wagen Sie mit Schaufenster und Blickpunkt einen
exklusiven Einblick.

Hoyer von Prittwitz, Archäologe und Herr über kilometerlange Gänge
mit Steinen rechts und Metallen links, oben drüber und unten drunter,
nimmt uns mit auf eine Reise in die Vergangenheit. Wo wir sind,
verrät auch er nicht. Mit einem Lächeln im Gesicht zitiert er dazu
Grönemeyer: „Tief im Westen."

Als Erstes fällt ein Wohnzimmerschrank ins Auge. Gelsenkirchener
Barock. „Sowas will heute keiner mehr haben", sagt Hoyer von
Prittwitz. „Eher schon das hier", weist er auf ein Regal gegenüber.
„Das ist ein Sekretär aus der Zeit von Maria Theresia." Der ist
hier gut aufgehoben. Luftfeuchtigkeit und Temperatur sind auf die
alten Gegenstände eingeregelt. 45 Prozent Luftfeuchte für Steine, 33
Prozent für Metalle. Wenn‘s sein muss, können die Gegenstände
hier noch einige hundert Jahre liegen, ohne Schaden zu nehmen. „Da
einzige, was Kummer machen könnte, ist Schimmel."

In diesem Depot lagern Gegenstände, die schon 1820, dem
Gründungsjahr des LVR-Museums, im Depot waren. Und natürlich alles,
was danach gefunden und dem LVR-Museum übergeben worden ist. Das ist
zum Beispiel all das, was bei Grabungen gefunden wurde. Alles ist
inventarisiert. Alles? „Es kann schon mal sein, dass Gegenstände
hier Hunderte von Jahren liegen, ohne dass einer sie bemerkt",
erzählt Hoyer von Prittwitz. „So wie der hier." Er zeigt die
Plastik eines Hinterkopfs. Die ist aus Stein. „Ägyptischer Stein.
Aus dem Hammamed-Wadi." Nachdem er ihn entdeckt hatte, bemühte man
sich etliche Zeit, ihn zu identifizieren. Um es kurz zu machen: Der
Hinterkopf zeigt Kaiser Augustus. Stammt aus dem 1. Jahrhundert nach
Christus. War nicht inventarisiert. Und wäre vermutlich noch für
Äonen hier unerkannt geblieben, hätte der Archäologe ihn nicht
entdeckt. „Den hatte vermutlich irgendein Verwalter auf seinem
Schreibtisch stehen", meint Hoyer von Prittwitz.

Da, eine Menge an steinernen, pardon, tönernen Schüsseln. „1.
Jahrtausend vor Christus", erklärt der Fachmann. „Halt ruhig mal.
Aber nicht am Henkel, die gehen gern ab." Man weiß das Alter
einzuschätzen, weil das Gefäß innen keine Spuren einer Drehscheibe
aufweist. Die kamen nämlich erst mit den Römern.

Hier, der Sarkophag ist aber klein. Für kleine Menschen? „Nee, die
Leichen wurden verbrannt. Dann mit allen Beigaben und der Asche
beerdigt. Deshalb die geringe Größe des Sarges."

Hochregale hier, Rollregale dort. Inventarisiert ist noch längst
nicht alles. Zwei Archäologen sind hier beschäftigt. Dann ein Raum,
in dem ordentlich hintereinander Tausende von Scherben aufgereiht
sind. Was ist das? „Der Bearbeitungsraum. Hier wird gesichtet und
bearbeitet." Ein Alptraum? Also wer immer schon Spaß am Puzzeln
hatte...

Und dann: Die Gänge. Endlos. Keine Angst so allein? „Ne, hier heult
kein Wolf. Und die Gegenstände tun einem ja nichts." „Und keine
Bange: Hinterm Horizont geht‘s weiter." Das wusste schon Udo
Lindenberg. Wenn man glaubt, die Gänge hören auf, geht es immer noch
weiter.

„Das Rheinland war Durchgangsstation. Deshalb gibt es hier unendlich
viele Funde aus der Römerzeit", so Hoyer von Prittwitz. Und je
findiger der Archäologe, umso bunter die Geschichten, die solche
Steine erzählen. „Eine Kollegin hat mal einen Scherbenhaufen
zusammengesetzt. Und dabei festgestellt, dass im Legionslager zu Bonn
Glas hergestellt worden ist."

Ok, dann verabschieden wir uns standesgemäß auf Latein und grüßen
all die Horizonte, die hinter den Doppeltüren des Depots noch ihrer
Entdeckung harren: „Salve." Oder, wie wär‘s mit Vergil:
„Discite iustitiam moniti et non temnere divos." Soll wohl ein
Ratschlag fürs Leben sein und heißen: „Seid gewarnt, lernt recht
zu tun und die Götter zu achten." Dem kann man einfach nicht
widersprechen. Auf Wiedersehen ihr Römer im Depot des
LVR-Landesmuseums.

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- Harald Weller

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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