Hinter hohen Mauern
Seit acht Jahren gibt es die Forensische Klinik in Westhoven

Erster Blick hinter die mehr als fünf Meter hohen Betonmauern.  | Foto: Foto: König
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  • Erster Blick hinter die mehr als fünf Meter hohen Betonmauern. 
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Köln-Porz-Westhoven - (kg). Viele Dinge erschließen sich erst, wenn man näher hinschaut.
Das verhält sich ebenfalls mit der Forensischen Klinik so, die seit
acht Jahren an der Stelle steht, wo sich früher eine der Belgischen
Kasernen in Westhoven befand. Die Porzer Ringstraße, noch heute teils
eine typische Militär-Betonpiste, führt an den mehr als fünf Meter
hohen Betonmauern der burgähnlichen Anlage vorbei. Es gibt keine
Bäume, kein schmuckes Begleitgrün, nur einen zweckmäßigen
Parkplatz, der eine überdachte Fläche für Fahrräder bereithält.

In diesem Jahr fand vor dem Haupteingang der Forensik erstmals ein
Osterbasar statt. Das weiße Zelt, das aufgebaut war, wirkte etwas
deplatziert. Doch die Artikel, allesamt stammten sie aus der Forensik
und dort von den Arbeitstherapien Holz und Metall, lockerten das Bild
und vermittelten den Flair vieler schöner Dinge, die Menschenhände
schaffen. Immer wieder hielten Leute an, stiegen aus und schauten.

Wer in den Maßregelvollzug der LVR-Klinik hineinkommt, hat
normalerweise etwas getan, wofür der Gesetzgeber einen
Hochsicherheitstrakt für nötig hält. Etwa so groß wie vier, fünf
Bundesliga-Fußballfelder ist das Areal, die Insassen, allesamt
Männer, sind Patienten, bei denen es sich um Straftäter handelt, die
nicht oder vermindert schuldfähig sind. Der Landschaftsverband
Rheinland (LVR) kümmert sich als untere staatliche
Maßregelvollzugsbehörde um sie.

Als Besucher gelangt man erst nach Abgabe aller privaten Gegenstände
wie Handy, Schlüssel und Geldbörse, wofür man ein Schließfach im
Portalbereich erhält, in eine Schleuse, ähnlich wie am Flughafen,
wenn man vom nationalen in den internationalen Bereich wechseln will.
Der Sicherheitsmann nimmt sich Zeit und kontrolliert genau. Danach
übernimmt Chefarzt Dr. Herbert Meurer die Führung, bereits nach
wenigen Metern muss er die erste Tür freigeben, etwas, was er an
diesem Tag noch unzählige Male machen wird.

Der erste Blick auf die Welt hinter den Mauern ist neu: Zu sehen sind
zweigeschossige Gebäude mit Flachdach, davor ein asphaltierter
Bereich. Im Hintergrund befindet sich an der Mauer ein
Außenspielfeld, es ist von einem Zaun umgeben. Entlang der Mauer eine
Wiese, eine Reihe niedriger Lampen, sowie hohe Masten mit Kameras.
Jeder Annäherungsversuch würde einen Alarm auslösen, erklärt
LVR-Pressereferentin Karin Knöbelspies. Der Gang über den Hof führt
zum inneren Gebäudering, zuallererst zum Verwaltungstrakt, in dem der
Chefarzt erneut Türen öffnet. Dazu kommt, dass es zumindest einen
Bereich gibt, in dem man von der einen zur anderen Tür innerhalb
einer gewissen Zeit gelangen muss.

Männer, die andere Menschen töteten, oder ihnen schwere
Körperverletzungen zufügten, jene, die Brände legten, Sexualdelikte
begingen oder fremdes Eigentum entwendeten, sind in der Westhovener
Forensik untergebracht. Das Gros würde auf Körperverletzung,
Tötungsdelikte und Brandstiftung entfallen, sagt der Chefarzt. Bei
den Sexualdelikten handele es sich bei einer „sehr kleinen Zahl um
Leute, die sich an Minderjährigen vergangen haben“, erklärt er.

Den Patienten wird in Westhoven eine Struktur gegeben, unter anderem
stehen dazu die Arbeitstherapien (AT) Garten, Holz und Metall zur
Verfügung. Es gibt einen Zahnarzt, einen Kirchenraum für alle
Konfessionen und eine Bibliothek, die gleichfalls als Anhörungsraum
für Gerichtsvertreter dient. Ein Lehrer unterrichtet Mathe, Deutsch,
Erdkunde und Geschichte. Die Garten-AT hat ein Feld, neben einer
Turnhalle steht eine Art Forum, ein zweigeschossiger hallenartiger
„Sozialraum“ zur Verfügung. Dort stehen ein Billard, Kicker,
Tischtennis; Werke der Patienten sind ausgestellt. Unter anderem
große Formate von Mondrian, Dali oder Hopper, eine
Pappmaché-Erdkugel mit Mond, ein Doppeldecker oder ein Zeppelin mit
der Aufschrift „Porz“ in großen Buchstaben.

Der Einblick in eine Station, in der 22 Patienten untergebracht sind,
öffnet eine zweckmäßige Architektur, die einen Bereich mit
Überwachungsfunktion zentriert, davon gehen Flure aus, davon wiederum
einzelne Zellen. Ein Insasse gibt den Blick frei: Man sieht einen
relativ kleinen Raum, zwei Betten, zwei Stühle, einen zweitürigen,
fast deckenhohen Schrank, einen Flachbildschirm, der auf einem
Schreibtisch steht, Lautsprecher und viele Bücher. Auf den beiden
Pinnwänden ist nichts zu sehen, das vergitterte Fenster ist von
außen mit einem dunklen, lichtdurchlässigen Rollo verdeckt. Chefarzt
Meurer lobt den Patienten dafür, dass er „so schön“ aufgeräumt
habe.

Auf dem Flur der Station steht rund um die Uhr ein Fernsprechtelefon
zur Verfügung, auf allen der sechs Stationen gebe es ein solches
Telefon. 150 Plätze stünden bereit, es gebe sechs bis acht
Doppelzimmer, die übrigen seien Einzelzimmer, sagt Meurer.

Viele in der Westhovener Forensik hätten entweder eine Psychose, eine
Persönlichkeitsstörung oder eine Intelligenzminderung; häufig sei
das mit Alkohol und Drogen verbunden. „Komorbid“ nennt der
Chefarzt das. „Während der Tat waren sie nicht in der Lage, das
Unrecht ihrer Handlung zu erkennen“, erläutert er. In Westhoven,
das im Zusammenhang mit der Einrichtung in Merheim gesehen werden
sollte, geht es unter anderem um das Vor-, Während- und
Nach-Tatverhalten, das man sich genau anschaue. Wichtig sei aber vor
allem, Sympathie zu schaffen. Sie sei die Basis für die
Psychotherapie.

In Westhoven und Merheim sind rund 210 Mitarbeiter beschäftigt, davon
14 Ärzte, acht Psychologen und 150 Pfleger; des Weiteren 20
Therapeuten sowie ein Lehrer, eine Sicherheitsfachkraft und 16
Mitarbeiter für Wache und Pforte. Der Hochsicherheitstrakt in
Westhoven wird bei der LVR „Forensische Psychiatrie I“, die
Einrichtung in Merheim „Forensische Psychiatrie II“ genannt. Aus
Westhoven wird niemand entlassen, etwa 20 bis 25 Männer, sagt der
Chefarzt, könnten jedes Jahr nach Merheim. Dort gebe es nur einen
Zaun um die Anlage, sagt Knöbelspies.

In Merheim legt man den Fokus auf Rehabilitation, dort ist die
Behandlung auf die Entlassung ausgerichtet. Seit 2009 gab es aus der
Forensik I zwei so genannte Entweichungen, die sich ereigneten, als
die Männer auf Ausgang waren. Einer hatte einen Alkohol-Rückfall und
floh zu seinem Vater, der ihn wieder zurückbrachte. Der andere machte
sich beim Besuch des Schokoladenmuseums auf und davon und kam nach
drei Jahren zurück aus Spanien. In die Forensik sei er zuvor
gekommen, weil er eine Körperverletzung ohne Todesfolge begangen
habe.

Man müsse von Anfang an sehr viel über den Patienten wissen,
worunter auch seine Biografie falle, erläutert der Psychiater und
Psychotherapeut Dr. Meurer. Und hinter jedem stehe eine Krankheit. Oft
sei es eine Mischung aus Halluzinationen, Wahnvorstellung und oft im
Zusammenhang mit Drogen. Die Wahrnehmung sei dann wie in einem Tunnel.
Durch Therapien, Medikamente und Beziehungsaufbau versuche man, die
Patienten wieder ins Leben zurückzuführen. In Westhoven erfolge die
erste Intensivbehandlung, dort fänden die ersten Lockerungen statt,
so dass die Leute auch nach draußen könnten. 

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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