Lohmar
Zusammenhalt als größter Gewinn nach der Katastrophe

Im Rundzelt auf dem Bauhof lagern nun die Sandsäcke, geschützt und bereit für jeden weiteren Notfall.  | Foto: Woiciech
2Bilder
  • Im Rundzelt auf dem Bauhof lagern nun die Sandsäcke, geschützt und bereit für jeden weiteren Notfall.
  • Foto: Woiciech

„Es fand ein guter Austausch zwischen Bürgern und Verwaltung statt. Ich glaube, dass das Ereignis uns hat zusammenrücken lassen und das Miteinander insgesamt gestärkt hat“. Knapp ein Jahr nach der Flut sind die Eindrücke für Bürgermeisterin Claudia Wieja immer noch unheimlich präsent. Auch wenn der Starkregen die Stadt Lohmar nicht so schlimm heimsuchte wie etwa das Ahrtal oder Swisttal, bildete die Nacht vom 14. Juli 2021 eine große Herausforderung für alle. Es gab viele kritische Stellen, die es zu beobachten und zu schützen galt. „Man hatte Unwetter erwartet und Vorbereitungen getroffen“, erläutert Peter Völkerath, Leiter des Amts für Brand- und Katastrophenschutz, „und umgehend den Damm am Dornheckenweg in Donrath mit Sandsäcken stabilisiert“. Hier war obendrein das Team vom Baubetriebshof sofort vor Ort, um zusätzlich mit weiteren Materialien wie Schotter unter die Arme zu greifen. „Die komplette Mannschaft half mit, selbst die alten Herren standen am nächsten Morgen direkt wieder auf der Matte“, erinnert sich Olaf Franke, Vorarbeiter auf dem Bauhof der Stadt Lohmar, noch sehr gut. „Ein Großteil von uns ist zudem bei der Freiwilligen Feuerwehr tätig, deshalb kam es hier und da zu Überschneidungen. Aber abgesehen davon funktionierte die Kooperation reibungslos“. Die Nacht brachte die Menschen natürlich psychisch und emotional an ihre Grenzen. „Es gab rund 400 Hilfeersuchen und wir waren auf uns selbst angewiesen, weil so mancher Kollege aus den übrigen Kommunen anderweitig im Einsatz war“, erzählt Peter Völkerath. Die Liste der Aufgaben wurde immer länger. Die Regenrückhaltebecken liefen voll, im Gebiet Johannesstraße bis Weidchensweg fiel das Pumpwerk aus und die Keller füllten sich. Als Konsequenz stellte man vorbeugend den Strom ab. „In Lohmar zählten etwa 800 Haushalte dazu“, berichtet Manu Gardeweg von „Lohmar hilft“, dessen Strukturen prompt griffen. Über die sozialen Medien konnten umgehend Getränke für die Einsatzkräfte organisiert, sowie eine Notunterkunft in der Jabachhalle eingerichtet werden. „Ferner zeigte der Aueler Hof auf Anhieb Präsens und hielt rund um die Uhr warme Suppe bereit“. Die Helferstrukturen und Netzwerke wirkten sogleich und kümmerten sich darum, dass in der Jabachhalle über Wochen eine zentrale Anlaufstelle existierte. „Wir versorgten ja nicht nur die Lohmarer mit gespendeten Mitteln, gingen ja später weiter nach Rheinbach, Swisttal und ins Ahrtal. Die Spendenbereitschaft aus der Bevölkerung gipfelte ins Gigantische, es stand vom Gaskocher bis zur Waschmaschine alles zur Verfügung. Viele Betroffene aus der Eifel suchten uns auf, um sich Geräte abzuholen, aus Lohmar allerdings kaum jemand“. Jede Menge Herausforderungen prasselten auf die Hilfskräfte ein. Auf dem Campingplatz an der Agger waren noch Menschen eingeschlossen, die nicht evakuiert werden konnten. „Wir kamen mit unseren Booten nicht durch und eine Hochspannungsleitung verhinderte den Einsatz eines Hubschraubers“, schildert Peter Völkerath. Zum Glück gelang am nächsten Tag die Rettung aller. Die Auswirkungen beschäftigten nicht nur die Bevölkerung noch lange, auch die Belegschaft vom Bauhof kämpfte mit Spätfolgen. „Dazu gehörten Ausspülungen, abgesackte Fahrbahnen und Schlamm auf den Straßen. Wir stellten Container auf und zeichneten uns für den Sperrmüll verantwortlich. Des Weiteren organisierten wir die Verteilung von Bautrocknern“, umschreibt es Roberto Profeta, Abteilungsleiter des Bauhofes.

Die Sottenbacher Straße hatte es ganz schlimm erwischt. Hier drang das Aggerwasser bis in die Wohnungen ein. | Foto: Wingenfeld
  • Die Sottenbacher Straße hatte es ganz schlimm erwischt. Hier drang das Aggerwasser bis in die Wohnungen ein.
  • Foto: Wingenfeld

Im Gegensatz dazu gestaltete sich in Heppenberg die Situation mit am problematischsten, denn der Schutz im Bereich der Sottenbacher Straße greift insgesamt sehr schlecht. „Wir sind Hochwasser bis zur Grundstücksgrenze gewohnt“, erklärt Kristina Wingenfeld. Die Leiterin der Kindertagesstätte Scheiderhöhe zählt mit ihrer Familie zu den Menschen, die die Katastrophe am schlimmsten erwischte. „Der Anruf erreichte uns im Urlaub. Das Wasser kam durch die Terrasse ins Haus und stieg auf etwa einen Meter“. Durch die Belastung des Aggerwassers war es jedoch mit Herauspumpen und Putzen nicht getan. „Alles war kaputt. Wir hatten keine andere Wahl, als bis auf den Rohbau alles herauszureißen und komplett zu renovieren. Unsere Etage war unbewohnbar“. Die Familie musste sich in Mehrgenerationen über ein halbes Jahr lang mit nur einem Zimmer begnügen. Man ging durch jegliche Gefühlslagen. Wut, Verzweiflung und Tränen standen auf der Tagesordnung. Viele Erinnerung, Fotos und altes Spielzeug flossen dahin. Doch mit Freunden und Verwandten schritt man eifrig zur Tat und baute das Zuhause neu auf. „Wir sind vor kurzem erst fertig geworden, aber nun ist es sehr schön. Jetzt ist es wieder an der Zeit, entspannter zu werden und zu Ruhe zu kommen. Glücklich sind wir über unseren Freundeskreis, denn wir haben gelernt, dass man jede Krise meistern kann“. Natürlich reihten sich danach Gedanken über Schutzmaßnahmen ein. Die Familie Wingenfeld installierte zum Beispiel eine Spundwand, die für das nächste Hochwasser eine effektive Hürde darstellt.

Auch die Feuerwehr schaffte weitere Pumpen und Mobilsirenen an. Auf dem Bauhof integrierte man ein Rundzelt, das vorbereitete Sandsäcke für den Notfall lagert und vor Witterungseinflüssen wie Regen, Frost und Sonne, schützt. „Vorher wurden diese nur unter einer Plane verstaut“, so der Bauhof-Abteilungsleiter. „Doch Feuchtigkeit lässt den Sand verklumpen und UV-Strahlung macht das Material porös. Deshalb ist das neue Lagerzelt perfekt. Hier kann man sogar mit einem Stapler reinfahren“. Die Erfahrungen fanden alle Ausdruck in Verbesserungsvorschlägen, die in einem Papier dem Deutschen Feuerwehrverband zuging. Gewiss gestaltete sich die schnelle Soforthilfe von 300 Euro, die ausgezahlt wurde, als kleiner Lichtblick, doch die Hilfsbereitschaft und der Zusammenhalt erwies sich für die Gesellschaft als größter Gewinn. „Die Bürger haben nicht gezögert sich selbst zu helfen. Privatpersonen griffen augenblicklich zu und Landwirte unterstützten uns umgehend mit ihren Gerätschaften“, zieht Peter Völkerath ein Fazit. Außerdem stiegen die Anfragen für Mitgliedschaften bei der Freiwilligen Feuerwehr, ebenso wurde das Engagement des Bauhofs positiv wahrgenommen. Daher möchte Bürgermeisterin Claudia Wieja an dieser Stelle hervorheben, dass nicht nur hier Respekt und das Verständnis untereinander stärker geworden sind, vielmehr die Bürger allgemein zusammengewachsen sind. „Das lag aber nicht alleine daran, dass jemand von uns für die Menschen gegrillt hat. Wir betreiben ja auch Vorsorge bei Unwettern, kontrollieren die Bacheinläufe und stehen mit dem Aggerverband in Verbindung. Grünpflege und Tiefbau sind nur einige Aspekte unserer Arbeit“, fügt Roberto Profeta hinzu. Doch trotz allem bleiben im Rückblick ein Strudel an Erinnerungen und Empfindung im Inneren zurück. „Ich bin sehr nachdenklich geworden, gerade wenn es um das Thema Klima geht. Heute nutze ich lieber das Fahrrad als das Auto. Wir sollten viele Dinge des Alltags bewusster erledigen“, sind die letzten eindringlichen Worte von Kristina Wingenfeld, geprägt von den Erfahrungen des vorigen Jahres.

Im Rundzelt auf dem Bauhof lagern nun die Sandsäcke, geschützt und bereit für jeden weiteren Notfall.  | Foto: Woiciech
Die Sottenbacher Straße hatte es ganz schlimm erwischt. Hier drang das Aggerwasser bis in die Wohnungen ein. | Foto: Wingenfeld
Freie/r Redaktionsmitarbeiter/in:

Dirk Woiciech aus Siegburg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

3 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.