Kartoffel schälen verlernt man nicht
Erkrankung Demenz kann jeden treffen

Natürlich ist nicht die ganze Musterwohnung auf Tour, aber die lebensgroßen Fotos vermitteln einen perfekten Einblick. | Foto: Woiciech
  • Natürlich ist nicht die ganze Musterwohnung auf Tour, aber die lebensgroßen Fotos vermitteln einen perfekten Einblick.
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Siegburg - „Musterwohnung Demenz“ gibt Anregung für Sicherheit und
Orientierung im Alltag

Immer mehr Menschen möchten so lange wie irgend möglich in ihren
eigenen vier Wänden bleiben. Gerade bei an Demenz Erkrankten sind
Erinnerungen und Gewohnheiten mit dem eigenen Lebensraum verknüpft.
Infolge Fortschreiten der Krankheit wird dies im Laufe der Zeit
permanent schwieriger. Besonders für Angehörige entstehen
Situationen, die nicht einfach zu handhaben sind.

Die Servicestelle Demenz der AOK Rheinland/Hamburg in Jülich
entwickelte bereits 2017 mit jeder Menge Engagement und Herzblut eine
begehbare Musterwohnung, die pflegenden Angehörigen, Schülern und
Studenten einen perfekten Einblick in so eine Lebenssituation
verschaffen und nützliche Informationen bereithalten, das
Lebensumfeld „demenzfreundlicher“ zu gestalten.

„Natürlich können wir die 120 Quadratmeter große Wohnung nicht
überall hin mitnehmen“, so Stefanie Froitzheim, Leiterin der
Servicestelle Demenz der AOK. „Deshalb haben wir uns für ein
Messesystem mit Wänden entschieden, die Schulungen einbeziehen.
Anhand der mobilen AOK-Musterwohnung möchten wir Betroffene beraten
und ihnen aufzeigen, wie ein dementer Mensch durch kleine Vorgaben und
nicht kostenintensive Hilfe tunlichst lange in seiner vertrauten
Umgebung wohnen kann.“

Auch in Siegburg ist für zehn Tage die Ausstellung zu sehen, die auf
riesigen Fotos die einzelnen Räume präsentieren.

Aber nicht nur Tipps und Tricks sind erkennbar, obendrein wurden
einige Fehler eingebaut, die eine Grundlage fürs Gespräch bilden,
zum Beispiel die Verwechslungsgefahr von Spülmittel und Limonade.

„Das allergrößte Problem bleibt jedoch die Kommunikation. Für
viele ist es nicht zu verstehen, wie sich ein Demenzerkrankter
fühlt.“ Um einen minimalen Eindruck von solch einer Welt zu
bekommen, gibt es Demenzsimulationen, wo man selbstverständliche
Tätigkeiten wie Zeichnen oder Essen etwa über Spiegel ausprobiert.
Dabei wird das Gehirn ausgetrickst, so dass es extrem schwierig wird,
nur eine Linie zu zeichnen. „Man muss Verständnis für so eine
Lebenssituation aufbauen.“

Ebenso ist die Biographie wichtig. „Es gibt immer einen Grund, warum
die Menschen derart reagieren. Vielleicht steht der Vater nachts
ständig auf, da er Bäcker war oder die Mutter ist unruhig, weil sie
schick angezogen ist, was für sie bedeutete, dass sie aus dem Haus
ging. Daheim trug sie möglicherweise täglich eine Kittelschürze und
fühlt sich nur so wohl.“

Manches wirkt auf die Angehörigen albern, doch oft sind es nur
Kleinigkeiten, die im Alltag zu Sicherheit und Orientierung verhelfen.
Das fängt bei Symbolaufklebern an und setzt sich bei Farbkontrasten
fort.

„Vieles hat mit der Vergangenheit zu tun. Bewährte Handgriffe, etwa
Kartoffel schälen, verlernt man nicht, auch wenn das Schmieren eines
Butterbrotes nicht mehr geht. Außerdem schafft häufig die Bedienung
einer Spülmaschine Probleme, da früher von Hand gespült wurde. Ein
Tipp wäre hier beispielsweise, eine Waschschüssel in das Spülbecken
zu stellen und den Abfluss offen zu halten, damit kein Wasser
überläuft.“

Diverses entfaltet sich individuell, sei es die Reaktionen auf Radio
und Fernsehprogramme, oder wann man den Herd vom Netz nimmt und nur
begleitendes Kochen anbietet.

Entsprechende Lösungen sollten daher auf die Person abgestimmt sein.
Das Schlimmste hierbei ist, alte Möbel auszutauschen oder zu
verrücken. „Das ist eine Katastrophe, weil jeder seinen gewohnten
Gang hat und genau weiß, wo alles steht. Deshalb ist im Vorfeld zu
prüfen, ob ein Teppich wegkommt, weil die Gefahr einer Stolperfalle
existiert, oder reicht eine Antirutschmatte.“

Bei der Führung greifen die Besucher oft verschiedene Themen auf, wie
den Drang des Demenzerkrankten, das Haus zu verlassen. Wer dies
verhindern möchte, entfernt einfach Schlüsselreize, etwa Jacken,
Schuhe oder Spazierstock. Dagegen regen gut platzierte
Kleidungsstücke zum Spaziergang an. Natürlich reihen sich darüber
hinaus zahlreiche technische Sicherungssysteme, von Apps über
GPS-Trackern bis zu intelligenten Fußleisten, mit ein. Das Spektrum
ist dort sehr breit aufgestellt.

Auch wenn die Ausstellung weitergezogen ist, bleibt das Thema bei der
AOK anhaltend aktuell. „Wir haben fünf Mitarbeiter, die in die
Haushalte gehen und bieten Kurse an, um Leid zu lindern und Hilfe zu
geben“, so Regionaldirektorin Maria Steels. Das Expertenteam der
Servicestelle Demenz ist telefonisch unter 02461-682299 oder per Mail
erreichbar ac.demenz@rh.aok.de

Die mobile „Musterwohnung Demenz“ ist bis Freitag, 13. Dezember
bei der AOK Rheinland/Hamburg, Theodor-Heuss-Straße 1, Siegburg, zu
besichtigen. In der Zeit von 10 bis 15 Uhr bietet die AOK eine
professionelle und individuelle Begleitung an. Die Dauer beträgt
ungefähr 60 Minuten und ist kostenfrei. Anmeldungen bei der
Servicestelle Demenz unter 02461-682299 oder per Mail an
ac.demenz@rh.aok.de

- Dirk Woiciech

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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