Abschied mit viel Trennungsschmerz
Sprachheilkindergarten schließt nach 38 Jahren

Die letzten „Sprechdachse“ winken nochmal zum Abschied, bevor sich die Türen für immer schließen. | Foto: Woiciech
  • Die letzten „Sprechdachse“ winken nochmal zum Abschied, bevor sich die Türen für immer schließen.
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Rhein-Sieg-Kreis - „Der Kindergarten galt immer als Alleinstellungsmerkmal des
Kreises“, so Stephan Liermann, Leiter des Kreissozialamtes. Doch
nach 38 Jahren geht in Siegburg die Ära einer erfolgreichen
Einrichtung zu Ende. Der Sprachheilkindergarten „Die Sprechdachse“
in der Arndtstraße schloss endgültig die Türen.

„Viele waren schon da, um sich zu verabschieden, darunter Ehemalige,
Praktikanten und natürlich die Kinder. Einige kommen mit vier Jahren
in die Einrichtung und besitzen bereits ein eklatantes Bewusstsein.
Sie erinnern sich dann positiv an ihre Kindergartenzeit und bauen eine
intensive Beziehung auf“, erzählt Leiterin Martina Schäfer.

Gestartet ist die Institution, die sich der Förderung von Kindern mit
Sprachstörungen verschrieben hat, 1981 mit einer kleinen Gruppe in
Much. Im September 1982 wechselte man in die Räumlichkeiten auf dem
Brückberg in Siegburg. Ute Bröhl war Mitarbeiterin der ersten Stunde
und prägte die „Sprechdachse“ von Beginn an. Martina Schäfer
stieg vor 27 Jahren als Logopädin ein. „Für mich erwies es sich
als ideal, denn man konnte acht Stunden lang für die Kinder da sein,
und wenn Probleme auftauchten, sofort im Alltag intervenieren. Das tut
den Kindern gut. Es ist mehr Berufung als Beruf.“

Sicherlich erfuhr die Arbeit über die Jahre hinweg stetigen Wandel.
„Die Störungen wurden von Mal zu Mal komplexer, unter anderem kamen
ADHS oder Formen von Autismus hinzu.“ Um auf dem aktuellsten Stand
zu bleiben, hatten Fortbildungen einen großen Stellenwert. „So
punktete man mit jeder Menge Fachwissen.“ Manche Themen, wie das
Zähneputzen, ändern sich dagegen nie, doch Bereiche wie gesunde
Ernährung rückten verstärkt in den Fokus.

Ebenso schafft die Schnelllebigkeit der heutigen Zeit immense
Auswirkungen. „Die Jüngsten können zwar mit Handys und Tablets
umgehen, aber auf der anderen Seite ganz einfache Dinge nicht
selbständig erledigen. Oftmals werden sie von Entscheidungen
erdrückt, die sie eigentlich nicht treffen müssen.“

Die größte Herausforderung in all den Jahren, bildete ein ganz
anderes Gebiet. „Wenn es darum ging, die Eltern mit ins Boot zu
holen, stieß man oft an Grenzen. Dann entstand ab und an ein Gefühl
von Inseldasein. Wir leisteten diesbezüglich schon eine schwierige
Arbeit und bräuchten entsprechende Unterstützung.“

In der Regel fanden zwei Gruppen von zwei mal zwölf Kindern hier eine
Betreuung. Der Schwerpunkt des Einzugsbereiches lag auf Siegburg,
Troisdorf, Hennef, Lohmar und Sankt Augustin. Auch gab es Ausnahmen,
so dass Sprösslinge aus Eitorf oder Königswinter die Kita besuchten.
„Häufig erfolgte der Transport durch einen Hol- und Bringservice.
Da sind die Wege sehr lang“, ergänzte Bettina Lübbert,
Abteilungsleiterin im Kreissozialamt.

Am Schluss blieben 19 Kinder übrig, die nun in Regelkindergärten
oder nach den Ferien in der Schule ihren Platz finden. „Ich
befürchte allerdings, dass keine vergleichbar intensive Förderung
geleistet werden kann. Verbreitet sind die Gruppenstärken zu groß
und die Einrichtungen haben keine eigenen Therapeuten. Der Nachwuchs
kommt quasi wieder in die Situation, aus der er zu uns kam“,
erläuterte die Leiterin.

Insgesamt zeigen sich so die Nachteile, die die Inklusion mit sich
bringt. Teilhabe ist für jedes Kind mit Handicap wichtig, aber um es
fit fürs Leben zu machen, braucht es intensive Hilfe. Hier muss sich
Inklusion noch weiterentwickeln. Dass der Bedarf steigt, beweist die
dringende Erweiterung der benachbarten Rudolf-Dreikurs-Schule. Da das
Gelände der Stadt Siegburg gehört, sind die freiwerdenden
Räumlichkeiten aktuell unkompliziert zu nutzen. Beim Team selbst ist
der Trennungsschmerz enorm. „Es war eine tolle Zeit, die leider
vorbei ist“, lässt Ute Bröhl einfließen. Die tägliche Arbeit mit
den Kindern prägte bei den Mitarbeiterinnen einen großen Teil ihres
Lebens, der mit Herzblut getragen wurde. Nun setzt die Kreisverwaltung
sie in artverwandten Positionen ein, etwa in Förderschulen oder im
kommunalen Integrationszentrum. Rückblickend sind alle stolz auf die
vollbrachten Erfolge. „Wir haben ganz vielen Kindern das Sprechen
beigebracht und ihnen damit den Weg geebnet – Jahr für Jahr“,
zieht Mitarbeiterin Doro Hamacher das Fazit von 38 Jahren
„Sprechdachse“.

Grund der Schließung laut Aussage des Rhein-Sieg-Kreises: Der
Kreistag hat im Dezember 2018 beschlossen, die Trägerschaft des
Sprachheilkindergartens zum Ende des Kindergartenjahres 2019/2020 zu
beenden und die Einrichtung zu schließen. Dies vor dem Hintergrund,
dass Sonderkindergärten im Allgemeinen als nicht mehr zeitgemäß
angesehen werden und der Weg hingeht zu einer inklusiven Betreuung mit
einer Bedarfsförderung. Kinder mit und ohne Förderbedarf sollen in
Regelkindergärten gemeinsam betreut werden und zwar dort, wo sie
wohnen.

- Dirk Woiciech

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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