Literaturforum
Hassliebe zur Türkei

Auf Einladung des Organisators und Moderators des Königsdorfer Literaturforums Jürgen Streich (re.) las Autor Dogan Akhanli aus einem in spanischer Untersuchungshaft verfassten, noch nicht erschienenen Buch. | Foto: Magdalena Marek
  • Auf Einladung des Organisators und Moderators des Königsdorfer Literaturforums Jürgen Streich (re.) las Autor Dogan Akhanli aus einem in spanischer Untersuchungshaft verfassten, noch nicht erschienenen Buch.
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Königsdorf - Ein hochaktuelles und zugleich brisantes Thema stand auf der Agenda
des Königsdorfer Literaturforums: Freiheit und deren Unterdrückung
in der Türkei. Hauptredner des Abends war der im Sommer in Spanien
verhaftete Schriftsteller Dogan Akhanli.

Wie sehr das Thema breite Schichten der Bevölkerung beschäftigt,
zeigten die vielen Besucher des Forums. Alle der etwa 120 Plätze im
Saal des evangelischen Gemeindehauses waren besetzt, sodass
zusätzlich auch noch alle verfügbaren Sitzgelegenheiten seitlich
dazugestellt und einige Zuhörer sogar stehenbleiben mussten.

Die Teilnehmer des Forums, zu denen diesmal neben Akhanli die
Schriftstellerin Dorothea Renckhoff, der Autor Thomas Geduhn, Andreas
Rumler sowie als Moderator Jürgen Streich gehörten, boten mit ihren
rezitierten Texten und eigenen Gedichten einen politischen aber auch
geschichtlichen Blick auf die Türkei.

Andreas Rumler stellte einen Zyklus vor, der sich mit Stücken
beschäftigte, die Exil und Vertreibung zum Thema hatten, allem voran
Ovids Metamorphosen vom trojanischen Krieg. In Auszügen wurde auch
ein Artikel des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ wiedergegeben, der
die Verleihung des Alternativen Nobelpreises an die Redaktion der
türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet“ zum Inhalt hatte und darin
den Preis als eine Ehrung von mutigen Reportern mit Signalwirkung
würdigte.

Einer der breiten Öffentlichkeit vielleicht unbekannten Seite der
Türkei widmete sich die Schriftstellerin Dorothea Renckhoff als sie
das Wirken des Begründers der modernen Republik Türkei Kemal
Atatürk beschrieb. Atatürk hieß viele vor dem NS-Regime flüchtende
deutsche Wissenschaftler, Künstler und Architekten willkommen und gab
ihnen die Möglichkeit, an den Universitäten von Ankara und Istanbul
zu lehren. So fand unter anderem der spätere Regierende
Bürgermeister von Berlin Ernst Reuter sowie die Architekten Clemens
Holzmeister, der an der TH Istanbul lehrte und Bruno Taut in der
Türkei Zuflucht.

Dem gleichen Thema widmet sich der Dokumentarfilm der Kölner
Regisseurin Eren Önsöz, den beim Forum Thomas Geduhn vorgestellt
hat. Mit fünf der Nachkommen der in die Türkei emigrierten Deutschen
geht die Regisseurin auf Spurensuche. „Der Film „Haymatloz“
macht die Zuschauer betroffen für Belange der Heimatlosen“,
urteilte Geduhn und zeige eine deutsch-türkische Geschichte jenseits
von Fremdenhass.

Bedrückend wirkten die ersten Zeilen, die Dogan Akhanli aus dem Buch
vorlas, das er nach seiner Verhaftung und dem späteren
Zwangsaufenthalt in Spanien, dass er nicht verlassen durfte und im
Goethe-Institut in Madrid verbrachte, verfasste und sein Verhältnis
zur Türkei thematisiert. „Finsternis will nicht verschwinden. Es
wird früh Abend im Gefängnis.“ An diese Zeilen aus dem Gedicht
eines kurdischen Dichters habe er während der Überführung von
Granada nach Madrid, die vom 19. auf den 20. August stattfand, denken
müssen. „So etwas habe ich nie wieder erlebt!“, so Akhanli. Um
sich die Zeit zu vertreiben habe er nach einem Buch oder einer Zeitung
gefragt, gern auch auf Spanisch, aber dazu seien die Wärter nicht
befugt gewesen. Im Gegensatz zu der düsteren Atmosphäre der
Verhaftung mutete die Beschreibung seiner Kindheitsjahre in einem
armen Dorf, „in dem aber niemand Hunger litt und es auch keine
Polizei gab“, hoffnungsfroh an. Die Mutter habe gehofft, dass die
Familie nicht so zerrissen würde, wie die Protagonisten aus dem
Lieblingsbuch der Familie, „Les Misérables“ von Victor Hugo.
„Aber im Gegensatz zu ihnen wussten wir, dass wir ein Zuhause haben,
in das wir immer zurückkehren können.“

In der Anschließenden Diskussionsrunde stellten die Zuhörer vor
allem Fragen zur der Verhaftung Akhanlis, seinem jetzigen Verhältnis
zu Spanien, aber auch zur politischen Situation in der Türkei, wie
dem Kurden-Konflikt oder den Sympathien vieler in Deutschland lebender
Türken zum Staatschef Erdogan. Nach dem Zwangsaufenthalt in Spanien
verbinde ihn eine besondere Beziehung zu dem Land, mit Deutschland sei
es ein Gefühl der Freiheit und mit der Türkei eine Hassliebe,
lautete sein Fazit.

- Magdalena Marek

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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