Kriegsende 1918
Erst Revolution, dann Besatzung

Die Fotografie, die britische Besatzungssoldaten zeigt, wurde im Jahre 1919 in der Frankenstraße in Erftstadt-Bliesheim aufgenommen. | Foto: Sammlung Dr. Bartsch
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  • Die Fotografie, die britische Besatzungssoldaten zeigt, wurde im Jahre 1919 in der Frankenstraße in Erftstadt-Bliesheim aufgenommen.
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Erftstadt/Rhein-Erft - Vor 100 Jahren, am 9. November 1918, wurde der deutsche Kaiser Wilhelm
II. zur Abdankung gezwungen und in Berlin die Republik ausgerufen. Dem
zuvor gegangen war der Aufstand kaiserlicher Matrosen in Wilhelmshaven
und Kiel. Sie hatten sich geweigert, in eine letzte, aussichtslose
Seeschlacht gegen England zu ziehen. Wie ein Lauffeuer griff die
Meuterei der Matrosen um sich und entwickelte sich zur ganz
Deutschland erfassenden Novemberrevolution. Wie aber erlebte die
Bevölkerung an Rhein und Erft Kriegsende und Revolution? Quellen aus
dem Gebiet des heutigen Erftstadt geben Antwort auf diese Frage.

Im Herbst des letzten Kriegsjahres grassierte die spanische Grippe,
Hunger lähmte das Leben in der Heimat, an den Fronten starben
massenhaft Soldaten in sinnlosen Schlachten. Lebensmittelknappheit,
Zwangsbewirtschaftung und Trauer um die gefallenen Söhne, Väter und
Brüder bedrückte die kriegsmüde Bevölkerung an Rhein und Erft. Das
Kriegsende schließlich kam in Form der militärischen Niederlage –
und bereitete der Monarchie ein Ende. In den Novembertagen 1918
griffen die revolutionären Bewegungen in Norddeutschland auf das
ganze Reich über, allerorten bildeten sich Arbeiter- und
Soldatenräte. Im Rheinland war es die Metropole Köln, die mit ihren
zahlreichen Garnisonen zu einem Zentrum der revolutionären
Entwicklung wurde.

Auch in der Kreisstadt Euskirchen fand sich bereits am 9. November ein
Soldaten-, Arbeiter- und Bürgerrat zusammen. In der Folgezeit
entstanden in Erp, Gymnich, Lechenich und Liblar Volksausschüsse und
Volksräte, die Delegierte in den Euskirchener Rat entsandten.
Insgesamt aber, bilanziert der in Erftstadt lebende Historiker Horst
Matzerath, verlief die Novemberrevolution in der Region doch recht
unspektakulär.

Der erzwungene Thronverzicht Kaiser Wilhelms II. hingegen scheint von
Teilen der Bevölkerung als Einschnitt empfunden worden zu sein. Als
die Nachricht im Ort bekannt wurde, hielt Lechenichs Schulrektor Franz
Martin rückblickend fest, fand in der Schule eine „stille
Gedenkfeier“ statt: Das ehrende Andenken an die „edle
Persönlichkeit des Kaisers“ sollte bewahrt, Vaterlandsliebe in
„der kommenden traurigen Zeit“ durch Taten bewiesen werden.

Noch im November 1919 scheiterte ein Antrag im Lechenicher
Gemeinderat, die im Rathaus befindlichen Kaiserbilder – und
insbesondere das Portrait Wilhelms II. – zu entfernen. Doch da
standen die Stadt Köln und die umliegenden Kreise bereits seit knapp
einem Jahr unter britischer Besatzung. Nach dem im November
einsetzenden Rückmarsch der deutschen Soldaten von den Fronten im
Westen, der auch die Kommunen an Rhein und Erft streifte, rückten
Anfang Dezember 1918 die britischen Streitkräfte mit über 200.000
Soldaten nach. Allein im Gebiet des heutigen Erftstadt waren zeitweise
bis zu 5.000 britische Militärangehörige stationiert.

Untergebracht waren die Soldaten in eigens für sie gefertigten
Holzbaracken, aber auch in requirierten Schulsälen, Pfarrhäusern
oder Privatunterkünften. Ranghöhere Militärs wurden in komfortable
Einzelgebäude einquartiert. Die Burg Blessem diente den Besatzern als
Lazarett, die Lechenicher Landesburg als Hauptquartier des
zuständigen „sub-area“-Kommandanten. Bis zum Abzug der Briten im
September 1919 – dem sich im November die französische
Besatzungszeit anschloss – führten die Einquartierungen sowie
umfangreiche Verhaltensanweisungen an die Zivilbevölkerung zu
Spannungen zwischen Besatzern und Einheimischen. So vermerkt die
Kierdorfer Schulchronik, dass „Schottländer“ am 19. November 1918
die Betten zahlreicher Privatwohnungen beschlagnahmt hätten. Den
Hausbewohnern sei „vielfach nur ein hartes und kaltes Nachtlager auf
der Erde“ geblieben. Auch hätten die Soldaten bei Heinen in
Roggendorf „Haus und Hof besetzt“ und Kochtöpfe oder
Essschüsseln als Waschgeschirr missbraucht.

Die Maßnahmen der Militärbehörden sahen eine rigide Einschränkung
der lokalen Kommunikation sowie eine scharfe Handhabung des Passwesens
vor. Zeitungen durften nur mit Erlaubnis der Besatzer erscheinen.
Zwischen 20 und 7 Uhr galt eine Ausgangssperre; wer – wie Hubert
Bönsch aus Erp – auf Nachtschicht in die Donatus-Grube wollte,
benötigte einen „Nachtpass“, um passieren zu können. Alle
männlichen Einwohner hatten durch das Ziehen der Kopfbedeckung die
Grußpflicht gegenüber britischen Hoheitszeichen und Offizieren zu
erfüllen. Erfolgte die Ehrerbietung nicht, berichtet die Kierdorfer
Chronik, durfte so mancher „seine abgeschlagene Kopfbedeckung aus
der Gosse aufheben“. Dies habe viele Männer veranlasst, nur noch
kahlköpfig zur Arbeit zu gehen.

Verschiedentlich kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen Zivilisten und
britischen Soldaten. Auch einzelne Eigentumsdelikte sind aktenkundig:
So stahlen Besatzungssoldaten in Pingsheim ein tragendes Mutterschwein
aus dem verschlossenen Stall des Landwirts Paeffgen und schlachteten
es. Ungeachtet aller Belastungen genossen die britischen Besatzer bei
der Erftstädter Bevölkerung aber kein schlechtes Ansehen –
gewährleisteten sie doch die öffentliche Ordnung und Sicherheit.

Anfang 1919 trugen sie zudem mit Lebensmittellieferungen zur
Überwindung drohender Versorgungsengpässe bei. Und insgesamt
verhielten sich die britischen Soldaten durchaus korrekt.

- Claudia Scheel

Die Fotografie, die britische Besatzungssoldaten zeigt, wurde im Jahre 1919 in der Frankenstraße in Erftstadt-Bliesheim aufgenommen. | Foto: Sammlung Dr. Bartsch
Eine Maßnahme der britischen Militärbehörde war die Verhängung einer nächtlichen Ausgangssperre. Damit Hubert Bönsch aus Erp seine Nachtschicht in der Donatus-Grube leisten konnte, erhielt er einen Nachtpass. | Foto: Stadtarchiv Erftstadt
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