Zittauer Fastentuch
Hungertuch im Dialog mit Kunst von heute

Das Kernstück der Ausstellung „Liebe und Gewalt – 1472 und 2018“ ist die Reproduktion des Zittauer Hungertuches, die den Altar von St. Kilian verhüllt. | Foto: Claudia Scheel
  • Das Kernstück der Ausstellung „Liebe und Gewalt – 1472 und 2018“ ist die Reproduktion des Zittauer Hungertuches, die den Altar von St. Kilian verhüllt.
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Erftstadt-Lechenich - (cs) Jedes Jahr zur Fastenzeit organisiert der Ausschuss der
Gemeindekatechese/Ortausschuss St. Kilian eine Ausstellung in der
Lechenicher Pfarrkirche. Diese widmet sich in diesem Jahr dem Großen
Zittauer Hungertuch und ist unter dem Titel „Liebe und Gewalt –
1472 und 2018“ noch bis zum 24. März zu sehen.

Das Große Zittauer Fastentuch wurde 1472 in Zittau als Stiftung eines
Gewürz- und Getreidehändlers gefertigt und ist das drittgrößte
Hungertuch weltweit. Fastentücher waren in der christlichen Kirche
des westlichen Abendlandes seit dem Jahr 1000 in Gebrauch. Sie
verhüllten zur Fastenzeit die Altäre, da nicht nur der Körper,
sondern auch das Auge fasten sollte. Die aus Leinen gefertigten
Tücher, die bis zu 100 Quadratmeter groß sein konnten, schieden den
Altarraum vom übrigen Kirchenraum ab und entzogen somit den
Kirchenbesuchern den Augenschmaus des Hochalters. Während die frühen
Hungertücher noch einfarbig und schmucklos waren, wurden sie ab dem
frühen 12. Jahrhundert mit Szenen aus dem Alten oder Neuen Testament
bemalt oder bestickt. So auch das 8,20 mal 6,80 Meter große Zittauer
Fastentuch: Es zeigt auf 90 Feldern in zehn Reihen biblische
Darstellungen von der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht. Das
Leinentuch wird in der weltweit größten Museumsvitrine in der
säkularisierten Zittauer Kirche zum Heiligen Kreuz aufbewahrt und
gilt neben dem Teppich von Bayeux als eines der eindrucksvollsten und
kulturgeschichtlich wertvollsten Textilwerke Europas.

Die Idee zur Ausstellung zum Zittauer Fastentuch hatte Ulrich Harbecke
vom Gemeindekatecheseausschuss. Beim Besuch einer Matinee im Kölner
Ludwig-Museum sah er den Dokumentarfilm „Fastentuch 1472“ von
Bernhard Sallmann. Der Film beeindruckte ihn derart, dass er anregte,
nicht nur den Film im Rahmen der fastenzeitlichen Kunstausstellung
vorzuführen, sondern auch die Ausstellung dem Zittauer Hungertuch zu
widmen. „Der Gedanke war, das Hungertuch den Gemeindemitgliedern zu
zeigen und es mit Bildern zu konfrontieren, die wir in der heutigen
Zeit vor Augen haben“, berichten Ulrich Harbecke, Christoph Rader
und Walter Dresen vom Gemeindekatecheseausschuss. Über Ehefrau
Monika, die aus der Nähe von Zittau stammt, kam Christoph Rader in
Kontakt mit den zuständigen Zittauer Stellen. Der Vorsitzende des
Vereins „Zittauer Fastentuch“ gab grünes Licht für das
Ausstellungsprojekt und trat die Rechte zur Reproduktion des Tuches
ab. Diese wurde nach einer DinA3-Fotografie erstellt, vergrößert und
auf Leinentuch kopiert.

Konzeptionell soll die Ausstellung „Liebe und Gewalt – 1472 und
2018“ das Hungertuch und seine alt- und neutestamentarischen
Darstellungen in Dialog bringen mit heutiger Kunst. Räumlich ist sie
als eine Art Weg angelegt: Beginnend mit der Skulptur „Heilige
Agathe“ von Anneliese Schmidt-Schöttler im Raum unterhalb der
Orgelempore öffnet sich der Blick in die Ausstellung. Links und
rechts sind je sieben Tafeln mit neu- und alttestamentarischen Szenen
aus dem Hungertuch zu sehen. Die 14, in Originalgröße auf Leinen
gedruckten Einzelszenen geben einen Eindruck von der eigentlichen
Größe des Zittauer Hungertuchs. Beim Durchschreiten des Kirchenraums
findet sich auf der rechten Seite zeitgenössische Kunst als Parallele
zum Hungertuch: Fotografien aus Simon Hellmichs Fotoprojekt
„Heimat“, geschaffen von jungen Geflüchteten; eine Collage von
Klaus Schramm, die den Abriss des Immenrather Doms zeigt sowie
Zeichnungen von Ulrich Harbecke, die ikonenhafte Bilder unserer Zeit
zu einem „Bilderteppich“ vereinen. Ein Portrait von Madeleine del
Brel nach einem Foto von Tony Schreiber ist rechterhand ebenso zu
sehen wie Skulpturen von Margret Zimpel und Luise Kött-Gärtner sowie
Harbeckes Gemälde „Blind“. Das Kernstück der Ausstellung, das
reproduzierte Zittauer Hungertuch, verhüllt den Altar. Dazu liegt die
1998 von Friedhelm Mennekes veröffentlichte „Zittauer Bibel“ aus,
in der jede der 90 Szenen des Hungertuchs in Bild und Text
nachgeschlagen werden kann. Linkerhand zeigt ein von den
Kommunionkindern in der Vorbereitungsfreizeit gestaltetes Hungertuch,
wie Kinder die biblischen Szenen sehen. Den Schlusspunkt bildet eine
Pinnwand nahe dem Turmaufgang, die die Ausstellungsbesucher mit
eigenen Fotografien, Bildern oder Zeitungsausschnitten bestücken
können.

Das Katholische Bildungswerk Bergheim, das den Ausstellern finanziell
zur Seite stand, ist von dem Ergebnis so begeistert, dass es das
Ausstellungsmaterial käuflich erwerben wird, um es anderen Gemeinden
für Ausstellungen zur Verfügung zu stellen. Im Rahmenprogramm der
sehenswerten Ausstellung findet am Donnerstag, 22. März, 20 Uhr, der
Vortrag „Abels Bruder und Kains Gott“ von Dr. Gunther Fleischer,
dem Leiter der Erzbischöflichen Bibel- und Liturgieschule Köln,
statt. Zum Abschluss der Ausstellung am 24. März bringen im Anschluss
an die Vorabendmesse um 17 Uhr Musiker unter der Leitung von Hubert
Schröder Klangfarben der Zeiträume um 1472 und 2018 zu Gehör. Alle
Veranstaltungen und die Ausstellung sind in St. Kilian zu sehen. Die
Kirche täglich von 8 bis 18 Uhr geöffnet.

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