"Mittendrin!" Flüchtlingskrise aus Sicht von Polizisten
Bericht aus der ersten Reihe

Bundespolizist Dirk Conrads aus Bergheim war bei Einsätzen an der Grenze, in Simbach am Inn gegenüber Braunau, in Passau und an vielen kleinen Übergängen. | Foto: Holger Slomian
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  • Bundespolizist Dirk Conrads aus Bergheim war bei Einsätzen an der Grenze, in Simbach am Inn gegenüber Braunau, in Passau und an vielen kleinen Übergängen.
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Region - (hs). Dirk Conrads aus Bergheim war ab September 2015, nach der
Wiedereinführung der Grenzkontrollen zu Österreich, wie viele andere
Polizisten auch im Einsatz an der deutsch-österreichischen Grenze.
Sie waren die ersten Ansprechpartner der Flüchtlinge auf der
Balkanroute. Der Bundepolizist hat gemeinsam mit seinen Kollegen
Philipp Franke und Marcel Hodenius die Erlebnisse an der Grenze
aufgeschrieben. Daraus entstanden ist das Buch „Mittendrin! - Drei
Polizisten berichten aus der Flüchtlingskrise".

Hunderttausende Menschen kamen ab September 2015 über die
Balkanroute, über Griechenland, Serbien, Slowenien und Österreich
nach Deutschland. Sie flohen vor Krieg und Terror, kamen aus Syrien,
Afghanistan oder dem Irak. Ihr Ziel: Deutschland, das für sie für
Sicherheit, Wohlstand und Rechtsstaatlichkeit steht.

Mitte September 2015 führt Deutschland wieder Grenzkontrollen ein.
Das Schengen-Abkommen der kontrollfreien Ein- und Durchreise in den
Mitgliedsländern wird außer Kraft gesetzt. Für Conrads und viele
andere Bundespolizisten bedeutet das Einsätze an der Grenze, in
Simbach am Inn gegenüber Braunau, in Passau und an vielen kleinen
Übergängen. „Wir sind immer für zehn Tage runtergefahren, haben
16 Stunden am Tag gearbeitet und im Hotel übernachtet und waren
anschließend fünf, sechs Tage zu Hause", erzählt Conrads.

Während ihrer Arbeit haben die Polizisten festgestellt, dass keiner
der ankommenden Flüchtlinge in einem anderen EU-Land registriert
worden war. Das wurde jetzt auf deutscher Seite getan. Die
Flüchtlinge mussten lange warten, bis sie durchsucht werden konnten;
die Fingerabdrücke wurden mittels Fast-ID überprüft und sie wurden
registriert. „Wegen des großen Andrangs war die Registrierung nicht
immer direkt möglich. Es waren Tausende Menschen, die auf die
Einreise warteten. Wir haben manches mal gedacht: wenn die jetzt
loslaufen, können wir sie nicht mehr aufhalten", so der
Polizeihauptmeister aus Bergheim. Überhaupt machten die Beamten
völlig neue Erfahrungen: Flüchtlinge, soweit das Auge reicht.
Vielfach gab es heitere, lustige Ereignisse, etwa als ein Flüchtling
auf die Aufschrift „Leider geil" auf seinem T-Shirt angesprochen
wird und er über die Bedeutung aufgeklärt wird.

Aber es gibt auch viele tragische oder dramatische Schicksale.
Menschen haben auf der Flucht oder im Krieg Angehörige verloren oder
sind selbst verletzt oder schwer krank. „Wir sind auch Menschen, und
die Erlebnisse beschäftigen uns auch nach Dienstschluss. Wichtig sind
dann Gespräche mit anderen Kollegen", so Conrads.

Im Herbst 2015 waren die Flüchtlinge oft in schlechter Verfassung. Da
war etwa der 80-jährige Mann, der in einem Rollstuhl von einem
16-jährigen Jungen vermutlich aus Syrien bis an die deutsche Grenze
gebracht worden war. Oder ein anderer Mann, der an Krücken humpelte,
an seinem Bein ein zentimeterlanger Riss. Da musste natürlich ein
Arzt her. Wie auch bei Schwangeren. „Natürlich wussten wir, dass
einige nur vorgaben, Wehen zu haben, um schneller zu den Bussen
vorgelassen zu werden", erinnert sich Conrads, „aber das Risiko,
dass es ernst ist, war zu groß. Wir haben lieber einmal zuviel als zu
wenig Notarzt oder Rettungsdienst gerufen!".

Dezember 2015 - es ist kalt. Im Flüchtlingscamp Ering malen die
Kinder mit Buntstiften, die man ihnen geschenkt hat. Das Malen
ermöglicht ihnen, das Erlebte zu verarbeiten. Ein vielleicht
vierjähriger Junge malt eine blutende Person am Boden, über der eine
andere kniet. „Es sah aus, als zeichnete er einen Mord. Wir waren
alle von diesem Anblick geschockt", erinnert sich Conrads.

In ihrem Buch schildern die drei Polizisten viele erlebte und
beobachtete Ereignisse und Situationen, die zum Beispiel durch ein
anderes Geschlechterverständnis, durch kulturelle Unterschiede
erwachsen sind. Die Beamten sind bedrückt von der Hilfsbedürftigkeit
mancher Familien. Und erkennen manchmal auch ihre „Pappenheimer",
bei denen sie ahnen, dass man sich wiedersehen wird. Mit dem Buch
werten sie nicht, aber sie räumen auf mit Vorurteilen, da sie die
Fakten vor Ort kennengelernt haben.

#article

Das Buch „Mittendrin!" von Dirk Conrads, Philipp Franke und Marcel
Hodenius ist im Verlag tredition erschienen, ISBN 978-3-7345-5798-9.
Es kann zum Preis von 14,99 Euro über den lokalen Buchhandel wie auch
online bezogen werden.  

Bundespolizist Dirk Conrads aus Bergheim war bei Einsätzen an der Grenze, in Simbach am Inn gegenüber Braunau, in Passau und an vielen kleinen Übergängen. | Foto: Holger Slomian
Dirk Conrads, Philipp Franke und Marcel Hodenius erzählen in ihrem Buch von ihren Erlebnissen ab September 2015 an der deutsch-österreichischen Grenze.  | Foto: Ruby Neerbun
Redakteur/in:

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