Im Kölner Norden unterwegs
"Heroes" - Weil Mord keine Frage der Ehre ist

„Heroes“ wenden sich gegen die Einstellung, dass Gewalt im Namen der Ehre gerechtfertigt ist. | Foto: Schriefer
  • „Heroes“ wenden sich gegen die Einstellung, dass Gewalt im Namen der Ehre gerechtfertigt ist.
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LONGERICH - (rs). Yilmaz (19) ist ein „Hero“, ein Held. Aber keiner, der
mit spektakulären Aktionen die Welt rettet. Doch seine Mission ist
mindestens genauso anspruchsvoll: Er möchte nämlich Gleichaltrige
davor retten, im Namen der Ehre Anderen Gewalt anzutun, zum Beispiel
ihre Schwestern umzubringen, wenn sie ein selbstbestimmtes Leben haben
möchten.

Yilmaz überzeugt die Jugendlichen aber nicht mit dem Zeigefinger.
„Ich möchte sie dazu bringen, über ihren Ehrbegriff nachzudenken,
damit sie von selbst darauf kommen, dass dieser inakzeptabel ist.“

Aber wie kann Yilmaz es durchstehen, sich in Schulen und Jugendzentren
vor Teenagern zu behaupten, die glauben, dass sie die Ehre ihrer
Familie retten müssen, und dass sie dafür ihre Schwester notfalls
auch mit Gewalt gefügig machen, wenn diese gegen ihre
Zwangsverheiratung protestiert?

„Ich wurde dafür ein Jahr lang von Jaouad Hanin geschult“, sagt
Yilmaz.
Hanin, ein gebürtiger Marokkaner, ist Musiker, Übersetzer und
Dolmetscher und wurde als interkultureller Trainer vom Verein
„interculture.de“ und der Friedrich-Schiller-Universität Jena
zertifiziert. Mittlerweile hat er 16 Jugendliche so weit gebracht,
dass sie sich „Hero“ nennen dürfen. „Wir nehmen die
Jugendlichen erst dann mit in Schulen, Jugendzentren und sogar
auch   Justizvollzugsanstalten, wenn sie ein Jahr lang an Workshops
zu Themen wie Sexismus, Gewalt im Namen der Ehre, Religion und mehr
teilgenommen haben“, sagt er.

Sonja Fatma Bläser hat das Projekt „Hereos“ in Köln 2012
aufgebaut. Sie hat am eigenen Leib erfahren müssen, welche
Auswirkungen der Ehrbegriff islamischer Familien haben kann. „Ich
wurde zwangsverheiratet, bin aus meiner Ehe geflüchtet und wurde mit
dem Tod bedroht“, sagt sie. Sie kennt die Qualen muslimischer
Frauen, die sich gegen diese Familienehre zur Wehr setzen. „Für
viele ist Selbstmord der einzige Ausweg.“

Über ihre Erfahrungen hat Sonja Fatma Bläser, die aus dem Osten der
Türkei stammt, das Buch „Henna-Mond“ geschrieben. Es wurde 1999
veröffentlicht. Kurze Zeit danach hat sie einen Verein mit dem
gleichen Namen gegründet. Deren ehrenamtlich tätige Mitglieder
kümmern sich seitdem um den Schutz von Frauen, die gegen den Willen
ihrer Familienangehörigen ein selbstbestimmtes Leben führen
möchten. „Wir bekommen jeden Monat etwa 150 Anfragen und kümmern
uns bei Henna-Mond jedes Jahr um den Schutz von fast 400 Frauen und
Männern, die bedroht sind“, sagt sie. Denn auch Männer müssten
unter dem Ehrbegriff leiden. Sie habe einmal einen jungen Mann in die
Schulen mitgenommen, der zwangsverheiratet wurde. „Er hat erzählt,
wie furchtbar peinlich es für ihn gewesen ist, als er nach der
Hochzeitsnacht öffentlich das blutige Bettlaken vorzeigen musste.“
Leiden müssten auch homosexuelle junge Männer, die gezwungen werden,
eine Frau zu heiraten. „Das ist ebenfalls Gewalt im Namen der
Ehre“, sagt Sonja Fatma Bläser.

Um nicht immer nur zu reagieren, sondern auch zu handeln, bevor es zu
spät ist, hat sie auch den Verein „Heroes – gegen die
Unterdrückung im Namen der Ehre“, der 2007 als Projekt des Berliner
Vereins Strohhalm gegründet worden war, nach Köln geholt. „Der
wird durch den Zustrom von Flüchtlingen aus Ländern, die von der
islamischen Kultur geprägt sind, immer wichtiger“, sagt Sonja Fatma
Bläser. Als Unterstützung erhält sie jedoch meist nur warme Worte
und Spenden. Die Stadt habe ihnen schon einmal einen Zuschuss in Höhe
von 10.000 Euro bewilligt, aber Anspruch auf eine Regelförderung
hätten die Heroes nicht. „Da wird von der Öffentlichen Hand viel
versprochen, aber leider nur wenig gehalten.“

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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