Eine Reise nach Auschwitz
Studienfahrt des Paul-Klee-Gymnasiums

Foto: Ruth Voß
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Overath - Bis in die Unendlichkeit reihen sich die Schornsteine hunderter
Baracken im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz Birkenau
aneinander. Das weite Gelände ist menschenleer. Die Begrenzungen
verlieren sich im Nebel, der um zehn Uhr vormittags immer noch dicht
über dem weitläufigen Feld liegt. Bereits am Tage zuvor mussten wir
uns der Surrealität stellen, als wir die Gedenkstätte im vormaligen
Stammlager betraten.

Hintergrund dieser nur schwer in Worte zu fassenden Eindrücke ist ein
Projektkurs des Paul-Klee-Gymnasiums Overath, der von Schülerinnen
und Schülern der Jahrgangsstufe Q1 freiwillig gewählt wird, um sich
mit der deutschen und auch europäischen Vergangenheit während des
Nationalsozialismus zu beschäftigen.

Konkret geht es dabei um Auschwitz - ein Ort, dessen Begriff beinahe
synonym für die Massenvernichtung von Millionen Menschen unter der
Gewaltherrschaft der Nazis steht. Der Studienfahrt vom 11. bis
18.2.2017 vorangestellt waren fünf Monate intensive Vorbereitung:
Nachdem allgemeine Informationen zu den drei ehemaligen Lagern
erarbeitet wurden, wählte jeder Teilnehmer einen Themenkomplex, der
für ihn oder sie von besonderem Interesse ist.

Ziel des Projektes: Den vielen Einzelschicksalen, von der SS nur
numerisch festgehalten, ein Gesicht zu geben. Themen wie Kinder in
Auschwitz, von Häftlingen geschaffene Kunst, die Flucht aus dem
Vernichtungslager, der SS-Lagerkommandant und verschiedene andere
wurden vom Kurs aufbereitet, bevor die Studienreise an den so häufig
thematisierten Ort angetreten wurde.

Oświęcim, so der polnische Originalname für die Stadt Auschwitz,
die unweit aller Lager liegt, ist eine Stadt mit 40.000 Einwohnern und
wirkt beinahe verschlafen. Die Unterbringung unserer Gruppe erfolgte
in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte gleich im Ort und circa
zwei Kilometer vom Stammlager entfernt.

Erschöpft von der Reise war bereits früher als gedacht nur noch
Stille auf Gängen und Zimmern zu vernehmen. Erst am nächsten Morgen
entzog der gemeinsame Weg ins Stammlager den Gesichtern die
Müdigkeit. Verwirrend war es, wie blauer Himmel, Vogelgezwitscher und
der Andrang von Touristen und Schülergruppen den Albtraum tausender
Menschen in ein beinahe idyllisches Licht rückten. Wir stehen kurz
vor der Schwelle zum Lager, links und rechts begrenzt von Stacheldraht
und mit hoch erhobener Schranke, über welcher der zynische Schriftzug
„Arbeit macht frei“ hängt.

Der Schritt über die Schwelle erfolgte nur zögerlich; er steht für
das Betreten eines Tatortes von Folter und Mord in tausendfacher Zahl.
Trotz unserer langen Vorbereitung auf den Besuch, fühlten wir uns wie
erschlagen von all den Eindrücken und Informationen, die wir während
der vierstündigen Führung bekamen. Das ungreifbare Gefühl erdrückt
zu werden begann in kleinen Dingen wie Tagebucheinträgen und
Zeichnungen, wurde aber spätestens dann zur übermannenden Macht, als
sich ein Raum, bis unter die Decke mit den Schuhen der Opfer gefüllt,
unseren Augen darbot. Gerade dieser tägliche Gebrauchsgegenstand aus
abgenutztem Leder verlieh den ehemaligen Häftlingen ein Gesicht, das
in den nüchternen Protokollen der SS verloren gegangen war.

Spätestens in den Ausstellungsräumen der Holocaust-Gedenkstätte Yad
Vashem in Block 27 des Stammlagers wurde klar, dass der
nationalsozialistische Völkermord nicht nur ein Relikt der
Vergangenheit ist, sondern auch heute noch jeden Einzelnen betrifft:
Ein an die zehn Meter breiter Index hält auf riesigen Seiten den
Namen und Geburtsort jedes zu Tode gekommenen jüdischen Opfers des
Holocaust fest. Insgesamt über vier Millionen Männer, Frauen und
Kinder. Durch die alphabetische
Sortierung ist man in der Lage auch Träger des eigenen Nachnamens
unter den Ermordeten zu finden.

Thema während der Evaluation am Nachmittag war jedoch vor allem die
Stimmung im Lager, die sich einerseits durch die mentale Brutalität
der Ausstellung auszeichnete und andererseits auf das Heftigste mit
den umstehenden Touristen kontrastiert wurde. Ob es ein Vater mit
seinem dreijährigen Sohn, ein Touristenpaar mit Selfie-Stick oder
generell lachende Menschen waren: Die Unwirklichkeit des Ortes hat
unsere Verarbeitungsfähigkeit auf eine harte Probe gestellt, die auch
nach unserer Rückkehr nicht vorüber ist.

Der zweite Tag begann und mit ihm die Besichtigung von Auschwitz
Birkenau, das Vernichtungslager, in dem etwa eine Millionen Menschen
verschiedener Herkunft und Religion ermordet wurden. Der Anblick, der
sich uns vom Aussichtsturm der SS über das Lager bot, glich viel mehr
einer Szene aus einem Orson Welles-Film, als irgendetwas, das real
sein könnte.

Als hölzernes Barackenlager konzipiert, stehen heute nur noch wenige
Teile des ehemaligen Lagers. Alle Krematorien wurden, teils durch
einen Häftlingsaufstand und teils durch die SS selbst im Rahmen der
Spurenvernichtung, zerstört. Auch von den über 300 Baracken stehen
größtenteils nur noch die aus Backstein gemauerten Schornsteine, die
auch bei -20°C kaum heizten.

Wie Skelette ragen die schlanken Türme in Reihen bis zum Horizont,
ein Ende ist nicht auszumachen. Ähnlich wie bereits im Stammlager war
das Durchschreiten des Lagereingangs ein Schlüsselereignis der
gesamten Fahrt. Mit diesem einzelnen Schritt wuchsen die Baracken
links und rechts von der Lagerstraße in unermessliche Höhen. Die
Straße selbst erschien breiter als eine fünfspurige Autobahn und
wir, die in dieser plötzlich viel zu großen, unbegreiflichen Welt
standen, kamen uns unbedeutender vor als jede Ameise.

Bei -12°C führte uns Barbara, unser Guide, auf acht Kilometern durch
die verschiedenen Stationen, die Juden, Sinti und Roma, politische
Häftlinge und andere regimefeindliche Personen auf ihrem Weg zur
Entmenschlichung durch die Nationalsozialisten durchlaufen mussten.

Der Besuch in Birkenau ist eine Erfahrung, die noch weitaus
unwirklicher ist, als der Besuch in den Ausstellungen des Stammlagers.
Die Abwesenheit jeglicher Plakativität und der sich aufzwingende
Gedanke, dass alles, was man sieht, tatsächlich geschehen ist, hat
eine absolut entwaffnende Wirkung.

Unverständnis und Hilflosigkeit sind Gefühle, die auch nach dem
Besuch nicht vergehen. Wie ein Lichtblick scheint da das Gespräch mit
einem Überlebenden aus Auschwitz Birkenau. Waclaw Dlugoborksi wurde
aufgrund seiner Tätigkeit im polnischen Widerstand nach Auschwitz
deportiert. Heute ist er 91 Jahre alt und führt Zeitzeugengespräche
mit interessierten Gruppen in Oświęcim. Als Geschichtsprofessor
konnte er nicht nur detailgetreue Szenen seiner Gefangenschaft
beschreiben, sondern auch interessante Hintergrundinformationen zum
Zeitgeschehen außerhalb des Lagers geben. Seine charmante und
kompetente Art trotz seines hohen Alters ließen unseren Respekt vor
Herrn Dlugoborski nur weiter anschwellen.

Ein weiterer Besuch im Stammlager für die gezielte Arbeit an den
verschiedenen Projekten sowie eine Stadtführung durch Oświęcim
schlossen den Besuch ab. Den Übergang zu den darauffolgenden zwei
Tagen in Krakau bildete Steven Spielbergs Oscar-prämierter Spielfilm
"Schindlers Liste", der auch zur Vorbereitung auf die Besichtigung von
Oscar Schindlers Emaillewarenfabrik und dem heute darin befindlichen
Museum diente.

Die sieben Tage, die wir in Polen verbringen durften, waren geprägt
von den Erfahrungen in Auschwitz, die in großem Maße in unsere
Projektarbeiten eingehen werden, aber auch von den Eindrücken, die
wir von der polnischen Kultur mitnehmen durften. Im Nachhinein können
wir nun einen differenzierteren Blick auf den Völkermord in Auschwitz
werfen.

Unser Dank gilt nicht nur dem Paul-Klee-Gymnasium, Frau Voß und Frau
Schlothauer, sondern vor allem auch der Stiftung „Erinnern
ermöglichen“, ohne die diese Studienfahrt nicht möglich gewesen
wäre.

Auch nach über 70 Jahren verliert Auschwitz nichts von seiner
Bedeutung: Immer noch steht es als Mahnmal gegen Hass und Gewalt, für
Toleranz und Weltoffenheit.

- Jeremy Phillip

Redakteur/in:

RAG - Redaktion

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